1 Einführung
„Der Siegeszug der bunten [Pokémon] Spiel- und Sammelkarten ging dann aber in rasendem Tempo rund um den Globus und machte auch in deutschen Klassenzimmern Halt“ (Redaktion hessenschau.de, 2023).
Das Sammeln kann als verbreitete Kulturpraxis im deutschsprachigen Raum bezeichnet werden. So sammelt ein Großteil der Deutschen aktiv und noch mehr Menschen haben im Laufe ihres Lebens einmal gesammelt (vgl. Blaseio, 2019, S. 16).
Besonders zu Beginn meines Praxissemesters konnte ich viele Interaktionen mit Bezug auf „Pokémon“-Sammelkarten beobachten. Diese sind Teil eines japanischen Franchise, das auf einem Videospiel basiert, welches für die Nintendo-Gameboy-Konsole im Jahr 1996 veröffentlicht wurde. Inhalt der Pokémon-Spiele und Serien-Adaptionen ist das Sammeln der Monster (Pokémon), das Training mit ihnen und das Duell zwischen den Wesen (vgl. Tobin, 2004, S. 5-7). Heute basiert das Franchise auf den Säulen Videospiele, Zeichentrickserien, Sammelkartenspiele sowie einem vielfältigen Merchandise-Angebot (vgl. Pokémon, o.D.). Vorrangig die Sammelkarten erlebten durch den Einfluss von Medienschaffenden in den sozialen Netzwerken in den letzten Jahren eine Renaissance. Diese Internetpersönlichkeiten öffnen vor ihrem Publikum Packungen von Pokémon-Sammelkarten in der Hoffnung, besonders seltene Exemplare mit hohem Wiederverkaufswert zu finden (vgl. Redaktion hessenschau.de, 2023).
Auch ich konnte im Klassenzimmer Kartenvergleiche und Tauschhandel beobachten. Die geringe Anzahl an Literatur zum Thema des Sammelns und Tauschens in der Primarstufe legt nahe, dass eine ethnografische Untersuchung bisher jedoch weitgehend ausgeblieben ist. Folglich ergibt sich aus ethnografischer Sicht die Frage, wie die agierenden Personen diese peerkulturelle Handlung des Vergleichens und Tauschens der Sammelkarten im Klassenraum durchführen. Um diese Forschungsfrage zu beantworten, beschreibe ich zunächst meine genutzte Methodik. Nach der Reflexion meiner Rolle als Forschender und Praktikant präsentiere ich drei dichte Beschreibungen beobachteter Situationen, die ich während meines Praxissemesters 2023 an einer Grundschule in Nordrhein-Westfalen festhalten konnte. In der anschließenden analytischen Dimensionierung untersuche ich die Handlungsweisen der Akteure und vergleiche das Verhalten der Kinder in An- und Abwesenheit der Lehrkraft. Hierbei fokussiere ich mich in meiner Analyse auf die Kultur des Sammelns und Tauschens sowie auf das Ausleben von Peer-Kultur innerhalb des Rahmens Schule. Abschließend beantworte ich die Forschungsfrage und biete einen Ausblick auf mögliche zukünftige Forschungsrichtungen.
2 Ethnografische Methodik
Im Rahmen meines Praxissemesters an einer Grundschule habe ich intensive Beobachtungen durchgeführt, die ich anschließend in Form von dichten Beschreibungen festhielt. Dieses Vorgehen ist ein Teil des ethnografischen Beobachtens. Historisch wurde diese Herangehensweise genutzt, um fremde Kulturen zu untersuchen. Heute zielt diese Methode darauf ab, mit einem befremdeten Blick einen Forschungsgegenstand zu beleuchten. Bei diesen handelt es sich in der Regel um das Verhalten von agierenden Personen in Alltagssituationen. Der befremdete Blick soll den Forschenden ermöglichen, eine neue Sichtweise auf vertraute Situationen zu erlangen und Habitus, Abläufe und Routinen zu hinterfragen. Dies kommt besonders im schulischen Kontext zum Tragen, da die meisten Forschenden in Deutschland eigene Schulerfahrungen haben (vgl. Wiesemann, 2011, S. 167; vgl. Breidenstein, 2012, S. 29-30).
Dieses Vorgehen kann als qualitative Forschung beschrieben werden. Diese ist besonders geeignet, um den Schulalltag der Kinder zu untersuchen, da mit ihrer Hilfe vollständige Szenen detailliert untersucht werden können und die Forschungsfrage so vermutlich am präzisesten beantwortet werden kann. Zudem konnte ich in dieser Form am ehesten meinen beiden Rollen, nämlich Forschender und Praktikant, gerecht werden. Als Grundlage dienen die bereits genannten dichten Beschreibungen. Diese können als besonders herausfordernd angesehen werden, da beobachtetes Verhalten wertfrei protokolliert und wiedergegeben werden muss. Diesbezüglich besteht der Anspruch, dass Außenstehende die Situation unter Zuhilfenahme der dichten Beschreibungen möglichst genau nachvollziehen können. Durch die Verschriftlichung können Ethnografen die Situation immer wieder lesen und so die Szenen anhand von verschiedenen Blickwinkeln analysieren (vgl. Breidenstein, 2012, S. 32-33). Zur Anfertigung der dichten Beschreibungen beobachtete ich eine Klasse während meines Praxissemesters. Hierzu zog ich mich in den hinteren Teil des Klassenraums zurück und notierte meine Beobachtungen handschriftlich in einem Notizbuch. Nach den Beobachtungen nutzte ich die Pause zwischen zwei Doppelstunden zur Verschriftung, um möglichst viele Details aus meinem Gedächtnis einbringen zu können. Auch dieser Prozess ist entscheidend, weil die Beobachtungen so rekonstruiert und in diesem Zuge Intentionen sowie unbeabsichtigte Wahrnehmungen aufgedeckt werden (vgl. Reh, 2012, S. 124-126). Unter Einbeziehung von Fachliteratur führe ich anschließend eine analytische Dimensionierung durch. In diesem Teil der Hausarbeit vergleiche ich die dichten Beschreibungen mit theoretischen Konzepten und Modellen, um ein tieferes Verständnis für die Akteure und ihre Handlungen zu entwickeln.
Beim ethnografischen Beobachten ist zu berücksichtigen, dass hier häufig ein Fokus auf „sozial lautem“ Verhalten liegt. Zurückhaltende Kinder werden hier häufig weniger beachtet. Meier nennt diesen blinden Fleck das „Mona Lisa Problem“. Er regt an, „sozial leises“ Verhalten in die Beobachtungen zu integrieren und anzuerkennen (vgl. 2004, S. 109-112). Obwohl ich mich auf das Thema Sammeln und Tauschen konzentrierte und daher expressive Äußerungen über Sammelkarten stärker fokussierte, bemühte ich mich auch, die stillen und fast unauffälligen Handlungen der Kinder in diesem Bereich zu beobachten.
3 Reflexion der Feldforschung
3.1 Meine Rolle im Feld als Forscher (und Praktikant)
Meine Feldforschung führte ich im Rahmen meines Praxissemesters im Lehramtsstudium durch. Die Bedingungen meiner Anwesenheit legten meine Rolle als Praktikant im Kollegium zwar grundlegend fest. Trotzdem ist festzuhalten, dass sich sowohl diese Rollendefinition innerhalb der Klasse als auch meine Aufgabenverteilung stark verändert haben. Zu Beginn meiner Praxisphase war ich tendenziell eher Beobachter und Unterstützer des Schulalltags. Im Laufe des Praxissemesters wuchs meine Beteiligung, bis ich zuletzt mitverantwortlich für die Unterrichtsgestaltung war. Dies gehörte zu meinem Aufgabenprofil im Praxissemester. Ziel dieser Praxisphase ist es, erste Erfahrungen im Bereich der Planung und Durchführung des Unterrichts zu sammeln.
Ein zentraler Baustein sind vier Unterrichtsversuche, die mit einem ausführlichen Feedback-Gespräch einhergehen. Diese waren eher am Ende meiner Praxiszeit terminiert. Zudem ging ich in meiner Vorannahme davon aus, dass die Kinder zunächst besonders zurückhaltend sein würden. Aus diesen Gründen versuchte ich, idealerweise viele Beobachtungen zu Beginn des Praxissemesters durchzuführen, da ich auch davon ausging, in diesem Zeitraum weniger eingebunden zu sein, seltener angesprochen zu werden und einen möglichst befremdeten Blick zu haben. So konnte ich in den ersten Wochen als Forschender viele Observationen durchführen. Meine Herangehensweise ist jedoch nicht unkritisch zu sehen. Einerseits ist die Etablierung und das Vertrauen der Akteure eine wichtige Voraussetzung, damit diese nicht durch diese Ausnahmesituation verändertes Verhalten zeigen (vgl. Breidenstein, 2012, S. 32). Andererseits wären so detaillierte Beobachtungen zuletzt jedoch kaum möglich gewesen, da ich nach einigen Wochen als Ansprechpartner für die Kinder nicht ablenkungsfrei beobachten konnte. Auch wenn die Rolle als Lehrkraft ein ständiges Beobachten der Akteure benötigt, geschieht dies weniger befremdet und neutral, sondern zum Zweck der Klassenführung und Beurteilung (vgl. ebd. S. 31). Aus diesem Grund sind die folgenden Beobachtungen alle zu Beginn meines Praktikums im Jahr 2023 entstanden. Während meiner Observationen nahm ich zwar im hinteren Teil des Klassenraums Platz, sodass ein Großteil der Lernenden mit dem Rücken zu mir saß. Dennoch war ich, entsprechend den Hinweisen von Wiesemann und Heinzel, so nah am Geschehen, dass ich eher teilnehmender Beobachter war (vgl. 2005, S. 212-213). Erwähnenswert ist, dass ich den Lernenden im Laufe der Zeit meine Aufgabe der Beobachtung offenbarte, weil sie befürchteten, ich würde sie bewerten. Dies könnte jedoch einen Einfluss auf meine späteren Observationen gehabt haben.
3.2 Reaktionen des „Feldes“ auf meine Anwesenheit als Forscher (und Praktikant)
Da meine Feldforschung in Absprache mit der Lehrkraft durchgeführt wurde, wurde ich zumeist während des Anfertigens meiner Feldnotizen von der Klassenleitung ignoriert. Dennoch gab es immer wieder Situationen, die eine Ansprache der Lehrerin an mich benötigten. So musste ich diverse Beobachtungen abbrechen, um meiner Rolle als Praktikant gerecht zu werden. Zunächst zeigten sich die Schülerinnen und Schüler tendenziell zurückhaltend. Nur wenige sprachen mich an und manche Kinder wirkten anfangs eingeschüchtert. Aufgrund meiner langjährigen Tätigkeit in einer Hausaufgabenbetreuung und zuletzt im Ganztagsbereich einer Grundschule entsprach dies auch meiner Annahme.
Bemerkenswert ist, dass die Agierenden besonders vor meiner aktiven Unterrichtsbeteiligung Verhaltensweisen zeigten, die laut Klassenleitung verboten seien (z.B. Sammelkarten tauschen). Ich vermute, dass den Kindern meine Rolle zu Beginn nicht klar war und dass sie davon ausgingen, dass ich keinen Einfluss auf Sanktionen hätte. Später konnte ich entsprechende Beobachtungen immer seltener machen. Dies könnte auch daran liegen, dass die Schülerinnen und Schüler dieses Verhalten nicht mehr offen vor mir zeigten.
Zusätzlich wurde ich immer häufiger von den Kindern angesprochen und als nahezu vollwertiges Mitglied der Klassenleitung akzeptiert. Dies schließe ich daraus, dass sie mit ihren Anfragen und Wünschen gleichermaßen die Klassenlehrerin und mich ansprachen.
4 Beschreibung der Lernkultur der Klasse
Mein Praktikum konnte ich an einer Gemeinschaftsgrundschule in Nordrhein-Westfalen durchführen. Sie kann grundsätzlich als dörflich und mit kleinem Einzugsradius beschrieben werden. Die meisten Kinder der Schule zählen zu den ca. 2000 Einwohnern des Ortes und nur eine Minderheit nutzt einen Schulbus. Dennoch ist die Einrichtung überwiegend zweizügig. Bei der Klasse, in der ich die folgenden Beobachtungen durchführen konnte, handelt es sich um die vierte Jahrgangsstufe. Sie wird in den Fächern Deutsch, Mathematik, Sachunterricht und in freien Lernzeiten von der Klassenlehrerin betreut. Diese nenne ich zur Anonymisierung im Folgenden Frau Müller. Die Lehrkraft betreut den überwiegenden Teil dieser Gruppe seit der ersten Jahrgangsstufe. Zwei Kinder gehören erst seit diesem Schuljahr zur Klasse.
Die Gruppe kann tendenziell als homogen beschrieben werden. Zwei der neunzehn Schülerinnen und Schülern erlernten Deutsch als Zweitsprache und ein Kind erhält neben dem Regelschulunterricht sonderpädagogische Förderung. Zu diesem Zweck nimmt zusätzlich eine Lernbegleitung am Unterricht teil. Jedoch gibt es mehr Mädchen (12) als Jungen (7) in der Klasse.
Der Schulalltag ist von einem hohen Maß an Selbstständigkeit geprägt. Der Klassenraum wird selbstständig betreten und verlassen, ohne dass die Lehrkraft ihn abschließt. Es finden regelmäßig sogenannte Lernzeiten statt, in denen die Kinder eigenständig und nach eigenem Interesse und Bedarf lernen können. Im Anschluss kontrollieren sich die Schülerinnen und Schüler meist selbstständig und führen ein Tagebuch über ihre Lernerfolge.
Es erfolgen regelmäßige Wechsel der Lehrmethoden. Die Kinder waren geübt in Einzel-, Partner- und Gruppenarbeit und die Lehrkraft nutzte häufig aktivierende Unterrichtsformate wie Mathespurgeschichten oder Escape-Room-Aufgaben.
Im Unterricht mit der Klassenlehrerin waren die Klassenmitglieder sehr diszipliniert und ruhig. Bei anderen Fachlehrern zeigten die Schülerinnen und Schüler teilweise unruhigeres Verhalten.
5 Beobachtung (3 Seiten)
Um die Privatsphäre aller Akteure zu wahren, wurden die folgenden dichten Beschreibungen anonymisiert. Zur besseren Lesbarkeit wurden die Namen durch Pseudonyme ersetzt.
5.1 Beobachtung 1: Tauschhandel im Unterricht
5.1.1 Die Situation
Ich verbringe mein Praxissemester an einer Grundschule im Kreis Falkenbau. Hier sitze ich während der Beobachtung in einer Klasse, deren Unterricht ich begleite. Den Akteuren bin ich bereits seit einigen Wochen bekannt. Für die Beobachtung habe ich mich in Absprache mit der Lehrperson in den hinteren Teil des Raumes gesetzt, welcher der Tafel gegenüberliegt. Es ist die vierte Stunde in einer vierten Klasse. Die Beobachtungssituation beginnt damit, dass die Kinder eine Hörspurgeschichte hören. In dieser Geschichte geht es um eine Mutprobe in einem Zeltlager. Kurz vor Beginn der Beobachtung wurde ein Arbeitsblatt hierzu besprochen.
5.1.2 Dichte Beschreibung
Frau Müller steht vor der schweigenden Klasse und hält ein Tablet in der Hand. „Hast du noch eine Frage zu der Geschichte oder können wir mit der Hörspur beginnen?“, sagt sie, nachdem sie vom Bildschirm ihres Endgeräts zur Klasse blickt. Zunächst meldet sich kein Kind zu Wort. Die Lehrerin lässt ihren Blick durch die Klasse schweifen und fordert die Lernenden anschließend auf, mit der Bearbeitung des Arbeitsblatts zur Hörspurgeschichte zu beginnen. Einige Kinder tuscheln, während sie das Arbeitsblatt zur Hand nehmen. Die Lautstärke bleibt aber leise. Die Lehrkraft geht indes mit ihrem Tablet zum Pult und legt es ab. Eine Schülerin an der Tafelseite des langen Tisches stellt eine Frage zur Verwendung des Platzes unten auf dem Arbeitsblatt, ohne sich vorher zu melden. „Anna, wie war das mit dem Melden nochmal?“, fragt sie das Mädchen. Diese hebt kurzzeitig den Arm, nimmt ihn aber sofort wieder herunter. Die Lehrerin seufzt und erklärt, dass dieser Bereich für das Eintragen der Hörspur gedacht ist. An der anderen Seite des langen Tisches in meiner Nähe holt ein Junge namens Tim einen Stapel von Sammelkarten aus seinem Mäppchen hervor. Dabei schaut er immer wieder zur Lehrerin. Ich vermute, dass es sich um Pokémon-Sammelkarten handelt, die mir der Junge schon einmal gezeigt hat. Tim wirft einen Blick auf die Karten, nimmt eine von ihnen aus der Mitte des Stapels in die Hand und betrachtet sie. Anschließend zeigt er sie Lisa, die ihm gegenübersitzt. Dabei zieht er die Augenbrauen hoch und schaut immer wieder zur Lehrerin. Lisa hat Tim schon beobachtet, seitdem er die Karten hervorgeholt hat und hat auch mir mehrmals Blicke zugeworfen, ohne eine Reaktion meinerseits. Tim hält die Karte hoch und zuckt mit der Hand immer runter, wenn Frau Müller direkt in seine Richtung schaut. Lisa betrachtet die Karte, nickt kurz und beginnt selbst damit, ihre Tasche neben ihrem Stuhl zu durchsuchen. Die Schülerin holt eine Karte hervor und lässt sie auf den Boden fallen. Nun richtet sie sich auf, schaut in Richtung der Lehrkraft und schiebt die Karte mit ihrem Fuß auf Tim zu. Als er nach der Karte greifen möchte, fragt Frau Müller in einem lauten Ton von der Tafelseite des Tisches: „Was ist da hinten los? Habt ihr nicht was zu tun?“. Niemand antwortet ihr und sie schaut seufzend wieder auf das Arbeitsblatt eines Kindes. Tim greift indes langsam zur Karte und legt sie unter sein Heft. Dabei blickt er zu Frau Müller. Der Junge hebt sein Heft hoch, guckt die Karte an, schaut zu Lisa und verzieht das Gesicht. Er nimmt die Karte und wirft sie ihr einfach zu. Lisa zuckt und legt die Karte schnell in ihre Mappe und schaut dabei wieder zu Frau Müller. Sie lächelt und flüstert: „Hallo?“. Dabei macht sie eine Geste mit der rechten Hand. Auch Tim grinst und wendet sich dem Arbeitsblatt vor ihm zu.
5.2 Beobachtung 2: Kartenvergleich nach dem Unterricht
5.2.1 Die Situation
Während der folgenden Beobachtung befinde ich mich erneut im Klassenraum der vierten Klasse. Den Akteuren bin ich bereits seit einigen Wochen bekannt. Für die Beobachtung habe ich mich in Absprache mit der Lehrperson in den hinteren Teil des Raumes gesetzt, welcher der Tafel gegenüberliegt. Es ist 10 Minuten vor dem Ende der zweiten Stunde. In dieser Zeit findet ritualisiert die Frühstückspause der Kinder statt.
5.2.2 Dichte Beschreibung
Der Unterricht ist beendet. Es ist das Ende der zweiten Schulstunde und die Kinder haben Zeit zum Frühstücken. „Du Max? Ich geh’ das mal eben schon mal kopieren, ja?“, fragt mich die Lehrerin, während sie bereits auf dem Weg vom Pult zur Tür ist. In der Hand hält sie einige Blätter. Ich entgegne kurz: „Ja, kein Problem!“ Ein Junge (im weiteren Verlauf Tom genannt) an der Fensterseite des Raumes steht auf und dreht sich zu mir: „Ähm, Herr Schmidt, kann ich neben Jan sitzen? In der Frühstückspause dürfen wir das immer“, fragt er hastig. Als ich zunächst nicht reagiere, ergänzt er: „Wirklich jetzt.“ Dabei wippt er schnell auf seinen Füßen. Ich nicke zustimmend. „Ja, okay, aber wenn das nicht funktioniert, setzt du dich wieder auf deinen Platz.“ Noch bevor ich meinen Satz beenden konnte, rennt der Junge schon mit seiner Tasche in der Hand um den langen Tisch in der Mitte, entlang der Tafel und setzt sich neben Jan. Die beiden begrüßen sich mit einem Fauststoß und lächeln sich an. Tom setzt sich auf den Stuhl und lässt sich in eine halb liegende Position herunterrutschen und atmet tief durch. Nachfolgend richtet er sich wieder auf und beginnt, in seiner Tasche zu kramen. Er holt eine Brotdose und einen Stapel mit Sammelkarten heraus und legt die Gegenstände auf Jans Tisch. „Jan, ähm, guck mal, was ich habe“, sagt der Junge merklich aufgeregt und hält ihm eine Reihe von Karten entgegen. „Hä, seit wann? Warst du im Penny?“, entgegnet Jan mit ernstem Blick. „Ja, da gab’s neue Booster“, erklärt der Junge. Ein anderes Kind mischt sich ein: „Hä, da gab’s gar keine Karten mehr.“ Dabei verzieht dieses Kind das Gesicht. „Ich habe sie doch da geholt. Ohne Sinn“, verteidigt sich der Junge und gestikuliert mit seiner linken Hand. „Ich war da auch letztens mit Papa, und da gab’s wirklich keine“, sagt ein weiteres Kind. „Ich schwöre! Aber dann glaub mir halt nicht“, entgegnet der Junge, winkt ab und dreht sich wieder zu Jan. „Aber guck mal, wie geil. Der ist richtig viel wert“, sagt er und zeigt ihm eine Karte. Jan holt seine eigenen Karten heraus. Dieser Stapel ist so groß, dass er ihn kaum mit einer Hand halten kann. „Tauschst du gegen mein (kann den Namen nicht verstehen)?“, fragt er und legt eine Karte auf den Tisch, bevor er weiter seine Sammlung durchsucht. „Hä, nein, niemals. Weißt du, wie viel der Wert ist?“, antwortet der Junge. „Ich würde tauschen gegen mein … er ist auch, ähm … auch voll wertvoll, der glitzert sogar“, sagt Jan und hält Tom eine weitere Karte entgegen. „Ich tausche gegen dein ganzes Deck“, schlägt Tom vor. Jan schaut zunächst ernst, beginnt dann aber zu lachen. „Oh Junge“, sagt er schließlich und haut auf den Tisch vor ihm. Erneut ruft ein Kind von der langen Tafel in der Mitte: „Im Penny gibt’s gar nicht so wertvolle.“ Jan entgegnet diesem Kind in einem lauten Tonfall: „Was laberst du? Da können die überall drin sein. Ähm, das ist Glück.“ In diesem Moment tritt die Lehrerin wieder durch die Tür und bleibt abrupt stehen, um Tom und Jan anzusehen. Sie halten mit einer hektischen Bewegung ihre Karten unter den Tisch. „Warum sitzt du denn hier vorne?“, fragt sie streng den Jungen. „Ähm, Herr Schmidt hat gesagt, ich darf“, antwortet Tom schnell. Die Lehrerin schaut ihn weiter an, geht dann jedoch ohne ein weiteres Wort zum Pult. Der Junge verstaut seine Karten hastig im Rucksack, während Jan seine in sein Etui ordnet. Sie schauen sich an und ziehen ihre Augenbrauen hoch.
5.3 Beobachtung 3: Kartenvergleich vor dem Unterricht
5.3.1 Die Situation
Nachfolgend sitze ich während der Beobachtung erneut hinten in einer Klasse, deren Unterricht ich begleite. Den Akteuren bin ich bereits seit einigen Tagen bekannt. Für die Beobachtung habe ich mich am Ende der ersten Pause in den Klassenraum gesetzt, um die ankommenden Schülerinnen und Schüler beobachten zu können. Der Raum ist auch abseits des Unterrichts geöffnet, sodass die Kinder ihn eigenständig betreten können. Die Beobachtung beginnt nach der Pause zwischen der zweiten und dritten Schulstunde. Ich beobachte hierbei den Übergang von der Pause zum Unterricht. Hierbei kam es zu einer thematisch passenden Interaktion zwischen zwei Kindern.
5.3.2 Dichte Beschreibung
An einem Gruppentisch neben dem Eingang sitzen 4 Schülerinnen und Schüler und an zwei Einzeltischen an der Fensterseite sitzt jeweils ein weiteres Kind. Einer dieser Schüler steht auf und geht zu einem anderen Kind, das an dem langen Tisch in der Mitte sitzt. Er hält ihm einen Stapel von Karten entgegen, auf denen die Wesen einer Animeserie namens „Pokémon“ zu sehen sind. „Zeig mal, hast du eine Goldene?“, fragt er den sitzenden Jungen, der aus einem Etui auf seinem Tisch ebenfalls Karten hervorholt. Er schaut auf die Karten des sitzenden Jungen, schüttelt den Kopf und sagt: „Siehst du, hast du gar nicht!“ „Hä? Doch! Sogar goldenen Pikachu!“, erwidert der sitzende Junge. Die Klassentür öffnet sich und die Lehrerin betritt den Raum. Die Lautstärke der Klasse nimmt ab. Der stehende Schüler blickt auf und hält seine Karten hinter den Rücken. Er geht lachend, einige Schritte rückwärts und zur Lehrkraft gedreht, bis er auf meiner Höhe ist. Er schaut zu mir und fragt: „Was bist du für ein Fan, Herr Schmidt?“ Ich erwidere kurz: „Ich bin Fan vom FC Bayern“, und versuche mich wieder der Szenerie zuzuwenden. Er kommentiert dies nur mit: „Geil, ich auch“, und geht anschließend zu dem Platz zurück, von dem er eben aufgestanden ist.
6 Analytische Dimensionierung der Beobachtungen (3 Seiten)
Im Folgenden untersuche ich den Vergleich und Tauschhandel der Pokémon-Sammelkarten in der beobachteten Klasse. Aufgrund von unterschiedlichen Vorgehensweisen der Kinder während der Ab- und Anwesenheit der Lehrkraft werde ich diese Situationen einzeln analysieren. Ferner werde ich in einem dritten Schritt die Gemeinsamkeiten und Unterschiede dieser Kontexte in Bezug auf den Kartentausch herausstellen.
Die erste Beobachtung (Tauschhandel im Unterricht) konnte ich während einer Arbeitsphase der Kinder machen. Die Tauschenden warteten hier vermutlich auf den Beginn dieses Unterrichtsabschnitts. Dies schließe ich daraus, dass ihr Tauschhandel erst beginnt, nachdem die Lehrkraft in ein Gespräch mit einer Schülerin verwickelt wird (Z. 12-17). Diese Art der Durchführung könnte darauf zurückzuführen sein, dass ein Vergleichen und Tauschen dieser Sammelkarten in der Klasse nicht erlaubt ist und die Kinder heimlich vorgehen möchten. Dies wird noch einmal davon unterstrichen, dass Tim beim Herausholen der Karten immer wieder zur Lehrkraft blickt (Z. 15-16) oder dass seine Tauschpartnerin Lisa im weiteren Verlauf wiederholt zu mir schaut (Z. 20-22). Hierbei vermute ich, dass das Mädchen überprüfen möchte, ob ich in der Situation sanktionierend eingreife, bevor sie sich beteiligt. Dem Tauschhandel gehen ein Betrachten und möglicherweise Bewerten der eigenen Karten voraus. Erst nachdem Tim eine geeignete Karte gefunden hat, initiiert er das Tauschgeschäft (Z. 18-19). Dies geschieht, indem er Lisa diese Sammelkarte zeigt. Ich mutmaße, dass das Mädchen diesen Ablauf kennt, da sie nur bestätigend nickt und ihre eigenen Karten hervorholt. Das Zeigen einer Pokémon-Karte wird hier bereits als Aufforderung zum Tauschhandel interpretiert (Z. 24-25). Ein offener Kartenvergleich der beiden beteiligten Akteure scheint nicht möglich bzw. birgt vermutlich die Gefahr einer Sanktionierung. Lisa entscheidet sich anscheinend deswegen dafür, ihre Karte, die sie Tim zum Tausch anbietet, unter den Tisch fallen zu lassen und mit dem Fuß zu ihm zu schieben. So entzieht sich der Tauschhandel gänzlich dem Blick der Lehrkraft (Z. 25-27). In Anlehnung an Bennewitz kann zudem vermutet werden, dass diese Vorgehensweise auch hier ein Gefühl von abenteuerlichem und risikoreichem Verhalten inszenieren soll, da ich in meiner Zeit an der Praktikumsschule selten Sanktionen erlebt habe, die über eine Aufforderung zum Verstauen der Karten hinausgingen (vgl. 2009, S. 123). Trotz ihrer Verfahrensweise bemerkt Frau Müller, dass in diesem Bereich der Klasse Unruhe herrscht. Aus ihrem allgemeinen Ausruf lässt sich jedoch schließen, dass sie nicht genau beobachten konnte, woher diese Ruhestörung rührt (Z. 27-29). Dies zeigt, dass die Vorgehensweise der Kinder ihren vermuteten Zweck der Heimlichkeit erfüllt hat. Als zusätzliches Hilfsmittel zur Geheimhaltung dient das Heft von Tim (Z. 31). Nun folgt die Bewertung der angebotenen Karte. Seine Reaktion lässt darauf schließen, dass kein Handel zustande kam (Z. 32-33). Dass der Junge die Karte offen zurückwirft, ist ein Bruch mit der bisherigen heimlichen Vorgehensweise. Dies scheint auch Lisa zu überraschen. Die Vermutung wird von ihrem Zucken, dem Verstecken der Karte, dem kontrollierenden Blick zur Lehrkraft sowie ihrer verbalen und nonverbalen Äußerung Tim gegenüber deutlich (Z. 33-36).
Zu Beginn der zweiten Beobachtung verlässt die Lehrerin den Klassenraum (Z. 2-3) und eines der Kinder nutzt diese Gelegenheit, um in Absprache mit mir den Sitzplatz zu wechseln (Z. 6-11). Diese neue räumliche Nähe zwischen Tom und Jan kann als Grundvoraussetzung für den folgenden Kartenvergleich gesehen werden. Nach einer kurzen Begrüßung ist das Hervorholen der Sammelkarten eine der ersten Handlungen, die Tom durchführt (Z. 14-16). Es kann vermutet werden, dass er bereits geplant hatte, dem anderen Kind seine Spielkarten zu präsentieren. Jan scheint wiederum mit den Sammelkarten von Tom vertraut zu sein, da er sofort fragt, ob der Junge neue Karten gekauft hat (Z. 17). Dies kann aus seiner überraschten Reaktion und dem Verweis auf den Supermarkt „Penny“ geschlossen werden. Unterstrichen wird dies durch die Antwort, dass es dort neue „Booster“ gebe. Unter einem Booster-Pack versteht man eine Packung mit 10 neuen Sammelkarten (vgl. Pokémon Support, 2024). Nachfolgend entsteht eine Diskussion darüber, ob es im Penny-Markt diese Karten zum Erwerb gibt. Im Wesentlichen könnte dies ein Hinweis darauf sein, dass sich mehr Kinder als die an den Tauschhandlungen Beteiligten für Pokémon-Karten interessieren und es sich vielleicht sogar um ein klassenübergreifendes kulturelles Phänomen handelt (Z. 19-23). Der Kartenvergleich wird von Tom initiiert, indem er Jan eine bestimmte Spielkarte präsentiert und behauptet, dass diese wertvoll sei (Z. 23-24). Hiermit könnte er einerseits auf die echten, teils hohen Wiederverkaufswerte von seltenen Sammelkarten anspielen oder er bezieht sich auf einen beträchtlichen Wert in Bezug auf Karten, die er als Gegenwert in einem Tauschgeschäft verlangen würde (vgl. Redaktion hessenschau.de, 2023). Ferner könnte exemplarisch deutlich werden, dass der Besitz der Kartensammlung auch im Zusammenhang mit dem Ausleben von Autonomie steht und für Tom identitätsstiftend sein könnte (vgl. Blaseio, 2019, S. 35). Vermutlich nimmt Jan an, dass er zu einem Tauschgeschäft eingeladen wurde, holt seine eigenen Pokémon-Karten hervor und macht ein eröffnendes Angebot. Da er seine angebotene Karte ganz offen auf den Tisch legt, kann dies als Zeichen dafür interpretiert werden, dass er keine Sanktionen fürchtet (Z. 26-27). Dieses erste Angebot wird allerdings sofort abgelehnt, mit dem Hinweis auf den Wert der Karte. Jan scheint jedoch nicht abgeschreckt und bietet eine weitere Sammelkarte. Hier verweist er ebenfalls auf einen hohen Wert, der sich unter anderem aus der glitzernden Oberfläche ergeben soll (Z. 27-29). Tom macht ihm einen Gegenvorschlag, der möglicherweise den Tauschvorgang beenden soll. Den Vorschlag, das gesamte Deck von Jan gegen seine Karte zu tauschen (Z. 30-31). Ein Deck besteht aus insgesamt 60 Sammelkarten und würde somit vermutlich einen Großteil des Kartenbesitzes des Schülers ausmachen (vgl. Longhurst, o. D.). Es könnte auch als Synonym für alle seine Karten stehen. Aus Jans Reaktion, der die Verhandlungen an dieser Stelle nicht fortsetzt, kann geschlossen werden, dass es sich vermutlich um keinen ernst gemeinten Vorschlag handelt (Z. 31-32). Dass diese offene Verhandlungsführung der Abwesenheit der Lehrkraft geschuldet scheint, wird deutlich, als Frau Müller den Klassenraum wieder betritt. Die Jungen halten ihre Karten hektisch unter den Tisch (Z. 35-37) und verstauen sie später (Z. 39-40).
Auch in einer weiteren Szene lassen sich ähnliche Verhaltensweisen der Akteure beobachten. In der dritten Beobachtung hat die Lehrkraft den Klassenraum nach einer Pause noch nicht betreten. Diese Gelegenheit wird von einem Kind genutzt, um einen Vergleich anzustoßen. Hierzu präsentiert ein Schüler zunächst seine eigenen Sammelkarten und fragt einen anderen Jungen, ob er eine Karte mit einem bestimmten goldenen Merkmal hätte (Z. 5-6). Eine solche ist möglicherweise ebenfalls eine seltene Karte, der die Sammler einen höheren Wert zumessen. So kann die Äußerung „Siehst du, hast du gar nicht!“ als abwertend verstanden werden. Das andere Kind widerspricht sofort (Z. 8-9). So scheint es beim Kartenvergleich nicht nur um mögliche Tauschgeschäfte zu gehen, sondern um Status und Ansehen durch den Besitz besonderer Karten. Dieses Eigentum könnte das Selbstwertgefühl steigern (vgl. Dörner 2010 nach Blaseio, 2019, S. 16). Als häufige Anlässe für das Anhäufen von Gegenständen im Grundschulalter können zudem das persönliche Interesse an ihnen genannt werden und der Wunsch, sie beispielsweise zum Spielen zu nutzen. Ferner beschrieben befragte Grundschulkinder soziale Interaktionen im Familien- und Freundeskreis als Grund für das Sammeln (vgl. Rettenmeier, 2019, S. 272-273). Als die Lehrkraft den Raum betritt, verstärkt das Verhalten der Lernenden den Eindruck, dass diese Handlungen nicht von der Lehrerin gesehen werden sollen. Hierzu hält ein Junge seine Karten hinter seinen Rücken und geht rückwärts, sodass diese versteckt bleiben (Z. 11-13). Das Betreten der Lehrkraft beendet zudem die Tauschhandlung.
Es lassen sich einige Gemeinsamkeiten bei Vergleichs- und Tauschhandlungen feststellen. Diese werden immer von einer Partei initiiert, indem man seine eigenen Karten präsentiert. Um einen Tausch einzuleiten, muss die Gegenpartei nun eine eigene Karte bereitstellen, die zum Handel angeboten wird. In allen Observationen spielte der Aspekt des Verbotenen eine Rolle. Entweder werden Strategien zur Geheimhaltung genutzt, wie in der ersten Beobachtung, oder das Erscheinen der Lehrerin beendet den Handel. Zudem scheint in keiner der Tauschhandlungen die Relevanz der Karten für das eigentliche Kartenspiel relevant zu sein. Blaseio weist darauf hin, dass zu sammelnde Gegenstände häufig aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgerissen werden und in neue Zusammenhänge gebracht werden (vgl. 2019, S. 17). Für die Kinder sind beispielsweise äußere Merkmale für ihre Sammlung entscheidend. Ferner lässt sich festhalten, dass alle Beobachtungen darauf hindeuten, dass es sich hier vielmehr um eine peerkulturelle als eine schülerkulturelle Handlung handelt (vgl. Bennewitz, 2009, S. 133-134). Das Setting einer Schule scheint für das Sammeln und Tauschen weniger entscheidend und eher hinderlich. Das zeigt sich daran, dass die Akteure unabhängig von der Anwesenheit der Lehrperson diese kulturelle Handlung ausführen.
In der zweiten Beobachtung kann man einen Unterschied beobachten. Bei einem Tauschhandel kann eine Karte zunächst abgelehnt werden. Die Verhandlungen enden damit jedoch nicht, sondern es kann ein weiteres Angebot unterbreitet werden. Dies ist sonst eventuell auch möglich, konnte aber zwecks der Geheimhaltung nicht durchgeführt werden. Zudem unterscheidet sich die Vorgehensweise. Während die Kinder in der Abwesenheit der Lehrerin offen vergleichen und verhandeln, nutzen sie in Anwesenheit insbesondere nonverbale Strategien. Sie führen ihren Vergleich durch, scheinen jedoch von der Präsenz der Lehrkraft behindert zu werden.
7 Fazit
Das Ziel der vorliegenden Hausarbeit war es, das Verhalten der agierenden Personen bei der peerkulturellen Handlung des Vergleichens und Tauschens von Sammelkarten im Klassenraum zu analysieren. Dabei lag ein besonderes Augenmerk auf Unterschieden bei der An- und Abwesenheit der Lehrperson.
Zu diesem Zweck konnte ich drei Beobachtungen im Rahmen meines Praxissemesters in einer Grundschulklasse durchführen, die das Vergleichs- und Tauschverhalten der Kinderakteure exemplarisch dokumentieren. Meine Analyse zeigt, dass einem Tauschvorgang meist eine Gegenüberstellung der Sammelkarten vorweggeht. Hier präsentieren die Akteure vorwiegend eine Karte, der sie einen hohen Wert zuschreiben oder bei der sie gewillt sind, einen Tauschhandel einzugehen. Dies wird dann, teils ohne explizite Nachfrage, als Aufforderung zum Handeln empfunden und die andere Partei zeigt eine Karte, die sie eintauschen würde. Dabei wirkt es wichtig, einen ähnlichen Wert zu bieten, der sich vor allem aus äußerlichen Merkmalen ergibt. Zum Teil scheint es beim Vergleich des eigenen Kartenbesitzes auch um Anerkennung zu gehen. Es ist zu beachten, dass ich keine Situation beobachten konnte, in der ein Tauschhandel angenommen und ausgeführt wurde.
Meine Analyse zeigte, dass Schülerinnen und Schüler in Anwesenheit der Lehrperson heimlich und verdeckt vergleichen und tauschen, jedoch handelt es sich hierbei vermutlich um eine peerkulturelle Handlung, die trotz des Unterrichts durchgeführt wurde und eher durch die Präsenz der Lehrerin behindert wird.
In der vorliegenden Hausarbeit legte ich meinen Fokus auf die Beobachtung des Sammelns, Vergleichens und Tauschens von Kindern der Primarstufe. Da es hierzu nur wenige Untersuchungen gibt, es jedoch häufig ein Teil der Peer-Kultur in Schulen ist, wären weitere qualitative und quantitative Studien in diesem Bereich sinnvoll.
Literaturverzeichnis
Bennewitz, H. (2009). Zeit zu Zetteln! – Eine Praxis zwischen Peer- und. In H. de Boer, & H. Deckert-Peaceman, Kinder in der Schule. Zwischen Gleichaltrigenkultur und schulischer Ordnung (S. 119-136). Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwissenschaften.
Blaseio, B. (2019). Sammeln. Bern: hep Verlag.
Breidenstein, G. (2012). Ethnographisches Beobachten. In H. de Boer, & S. Reh, Beobachtung in der Schule – Beobachten Lernen (S. 27-44). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.
Longhurst, E. (o. D.). Eine Anleitung zur Deck-Erstellung: Lerne, wie man ein Pokémon-Sammelkartenspiel-Deck erstellt. Abgerufen am 01. März 2024 von Pokémon.com: https://www.pokemon.com/de/strategie/stelle-ein-deck-zusammen
Meier, M. (2004). Das Mona Lisa Problem – Methodische Anmerkungen zur Verbalisierung von ‚Sozial Leisem‘. Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung(1), S. 109-115.
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