Frequently Asked Questions

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Beobachten & Beobachtungen aufschreiben

Das Beobachtungsprotokoll ist eine ausformulierte Version Ihrer Feldnotizen und Erinnerungen. Sie bieten Leser*innen die Möglichkeit, die von Ihnen beobachtete Situation nachvollziehbar zu machen.

Beobachtungsprotokolle sind bereinigt (alles Unverständliche und Redundante wurde entfernt), gleichzeitig enthalten sie alle Informationen, die für die Nachvollziehbarkeit und das Verständnis der beobachteten Situation notwendig sind.

Meier (2021) formuliert hierzu: Ein Protokoll muss meines Erachtens so gutgeschrieben sein, dass es die Leser*in sprichwörtlich in die beobachtete Situation hineinversetzt, sodass die beschriebenen Szenen vor ihrem inneren Auge lebendig werden. Neben diesen durchaus literarischen Ansprüchen an ein Beobachtungsprotokoll müssen die Beschreibungen zugleich so detailliert angefertigt sein, dass das Handeln der Akteure, also die verbalen und non-verbalen Interaktionen und ihre Interferenzen, präzise abgebildet werden, sodass sie einer soziologischen Analyse zugänglich sind.“

Eine solche, in schriftlicher Form festgehaltene Beobachtung ist kein bloßes Abbild, keine bloße Kopie (vgl. Hirschauer 2001: 434) eines vermeintlichen Originals, sondern auf Grundlage der Wahrnehmung der Details der Situation durch die beobachtende und schreibende Person höchst subjektiv

Allein das Erkennen dieser großen Herausforderung für teilnehmende Beobachter:innen ist bereits hilfreich, weil so zur Reflektion der eigenen Beobachtungstätigkeit angeregt wird. Worauf fällt meine Aufmerksamkeit? Was drängt sich in den Vordergrund? Was bleibt eher unauffällig? Was verrät mir die eigene (unreflektierte) Fokussierung der teilnehmenden Beobachtung über die Situation? Je nach Fokussierung fallen verschiedene Dinge ins Auge. Warum nicht das einzige Kind fokussieren, das nicht wie alle anderen umherrennt – es ist schließlich auch Teil der Situation, oder?

 

Lesetipp: Meier, Michael (2004): Das Mona Lisa Problem – Methodische Anmerkungen zur Verbalisierung von ‚Sozial Leisem‘. In: Zeitschrift für qualitative Bildungs-, Beratungs- und Sozialforschung 5 (1), S. 109–115.

Grundsätzlich gibt es keine Vorlage für Feldnotizen. Es kann jedoch hilfreich sein, sich im Voraus Gedanken über mögliche Strukturierungs- und Erfassungshilfen zu machen.
Sie können beispielsweise überlegen, welche Wörter Sie in während dem Beobachtungsprozess schriftlich abkürzen möchten, um weniger Zeit beim Schreiben zu verlieren (z.B. SuS für Schülerinnen und Schüler, E für Eltern…)

Es kann auch helfen, eine Vorstrukturierungen (z.B. Tabelle mit verschiedenen Spalten) vorzunehmen, um beispielsweise Beobachtung und mögliche Deutungen und Analyseideen direkt in der Situation unterscheidbarer voneinander zu trennen.

Geertz (1983) formuliert hierzu: „Das Forschungsinteresse richtet sich auf die detaillierte Rekonstruktion und Beschreibung der Methoden und Prozeduren, die von den Mitgliedern einer sozialen Einheit (Ethno-)bei diesem Prozeß der Wirklichkeitserzeugung systematisch verwendet bzw. bei seiner Interpretation unterstellt werden.“
Somit ist jede Ihrer Beobachtungen bereits eine Interpretation des Gesehenen.

Zwar mag Ihre Darstellung als Ethnograph*in nur eine Interpretation der Beobachtungen sein, aber schon bereits durch diese eine Sicht auf die Wirklichkeit eröffnen sich uns neue Horizonte für die Erforschung dieser sozialen Einheit.

Breidenstein hierzu: „Die Praxis der Beobachtung erfordert zu selektieren. Die unvermeidliche Selektivität jeder Beobachtung ist aber nicht als methodischer „Nachteil“ anzusehen – jedes Erhebungsinstrument ist in je spezifischer Weise selektiv – sondern bewusst zu gestalten und für die Forschung zu nutzen. Menschliche Beobachter können ihre eigenen Selektionsleistungen beobachten. Sie können sich zum Beispiel darüber wundern, dass ihre Blicke in der Unterrichtssituation immer wieder dieselben Schüler oder Schülerinnen aufsuchen. In dieser (Selbst-)Beobachtung lernen sie etwas über die lokalen Spezifika der Selektivität der Beobachtung in diesem Feld. Ebenso geht es weniger darum, „Interpretationen“ zu vermeiden, als diese der Beobachtung zur Verfügung zu stellen: Indem Beobachter ihre eigenen Interpretationsleistungen in der Situation beobachten, lernen sie etwas über die spezifische Interpretativität dieser Situation.“ (Breidenstein 2006: 23)

Meier (2021, 2f.) formuliert hierzu: „Ein Protokoll muss meines Erachtens so gut geschrieben sein, dass es die Leser*in sprichwörtlich in die beobachtete Situation hineinversetzt, sodass die beschriebenen Szenen vor ihrem inneren Auge lebendig werden. Neben diesen durchaus literarischen Ansprüchen an ein Beobachtungsprotokoll müssen die Beschreibungen zugleich so detailliert angefertigt sein, dass das Handeln der Akteure, also die verbalen und non-verbalen Interaktionen und ihre Interferenzen, präzise abgebildet werden, sodass sie einer soziologischen Analyse zugänglich sind.“ Jedoch beantwortet auch ein vermeintlich schlechtes Protokoll Fragen – nur vielleicht jedoch nicht die gestellten.

 

Statt nach guten bzw. schlechten Beobachtungsprotokollen sollte eher in Anlehnung an Geertz (1983) nach dichten bzw. dünnen Beschreibungen gefragt werden. Lange und Wiesemann (2012, 272) schreiben hierzu: „Das detaillierte, hochgradig selektive und subjektive Beschreiben ist in diesem Sinne ein Qualitätsmerkmal gelungener Aufzeichnungen. Gilbert Ryle nannte derartige Produkte dichte Beschreibungen, Clifford Geertz (1983) griff die Betitelung und die Überlegungen zum Schreiben weiterentwickelnd auf. Bei dieser Art des Schreibens geht es um die „Mobilisierung von Erfahrungen” (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 30), der Leser soll Partizipation fühlen und greifen können. ,,Beobachtungen werden nicht nur als Erlebnisakkumulationen sozialwissenschaftlich relevant, sondern als Protokolle, die weiterverarbeitet werden, und als dichte Beschreibungen, die  ‚weitererleben’ lassen können” (Amann/Hirschauer 1997, S. 30, Herv. i. Orig.). Bloße Beschreibungen von Beobachtungen oder Ereignissen sind in diesem Sinne noch nicht als ethnografische Daten zu verstehen, zu diesen werden sie erst durch eingebettete Sinnstiftungen des Autors (vgl. Amann/Hirschauer 1997, S. 31). Gilbert Ryle (1971; zitiert nach Geertz 1983, S. 10ff.) führt das Beispiel an, dass aus der (dünnen) Beschreibung eines schnellen Lidschlags einer Person noch nicht ersichtlich wird, ob es sich um ein ungewolltes biologisches Zucken oder um ein beabsichtigtes kulturelles Zeichen handelt. Für sich betrachtet sind die Bewegungsvorgänge gleich.“

 

Lesetipp: Meier, Michael (2021): Ethnographische (Beobachtungs-)Protokolle schreiben. Eine Anleitung und zwölf Übungen. Flensburg. Online verfügbar unter https://www.researchgate.net/publication/354339095_Ethnographische_Beobachtungs-Protokolle_schreiben_Eine_Anleitung_und_zwolf_Ubungen, zuletzt geprüft am 06.09.2021.

Videotipp aus ‘Analyse’: Ein gutes Protokoll

Die Feldnotizen werden vordergründig direkt während dem Beobachtungsprozess erstellt. Sobald die Beobachtung beendet wird, ist es dennoch sinnvoll, weitere Eindrücke (z.B. über die Atmosphäre) zu sammeln oder auch abschließenden Gedanken zu dem Gesehenen festzuhalten. Dies sollte jedoch idealerweise am Ort der Beobachtung passieren. Sobald man sich aus dem Setting der teilnehmenden Beobachtung entfernt, sollte das Verfassen der Feldnotizen ebenfalls beendet werden. Im Zuge der dichten Beschreibung können die Feldnotizen dann weiter ausgearbeitet, verdichtet und interpretiert werden.

Grundsätzlich gibt es keine zeitliche Begrenzung für die Dauer einer teilnehmenden Beobachtung. Für die Forschungsarbeiten innerhalb des Studiums ist die Dauer der teilnehmenden Beobachtung jedoch nicht mit der eines mehrjährigen Forschungsprojekts zu vergleichen. Auch variiert der Zeitrahmen je nach Fragestellung. Es sollte allerdings darauf geachtet werden, dass eine Situation von Anfang bis Ende beobachtet wird (wobei sich die Frage stellt, was eine Situation ist und wo diese beginnt und endet). Das bedeutet, solange eine Situation nicht erkenntlich zu Ende ist, sollte auch die Beobachtung nicht abgebrochen werden, da ansonsten die Handlungslogik der Akteur*innen nicht gänzlich untersucht werden kann. Zugleich ist es empfehlenswert, entsprechend dem Erkenntnisinteresse bzw. der Fragestellung bedeutsame Situationen mehrfach zu beobachten, um Vergleiche und Kontraste bilden zu können.

Beobachtungsprotokolle, also die (schriftlichen) Beschreibungen von (sozialen) Situationen, sind Konstruktionen. Das heißt, ein Protokoll ist nicht eine bloße Abschrift oder eine Kopie eines vermeintlichen Originals, sondern vielmehr eine Übersetzungsleistung der Ethnograf*innen (vgl. Hirschauer 2001). Die „sprachliche Vergegenwärtigung eines Ereignisses ex post [ist] eine Deutung, also dessen interpretative Neuschaffung“ (Hirschauer 2001, 433 mit Bezug zu Bergmann 1985, 305). In diesen interpretativen Übersetzungsprozess schreiben sich unweigerlich (!) subjektive Deutungen der Ethnograf*innen ein. Unter dieser Perspektive sind „trotzdem“ oder „noch“ keine „Fehler“ in einem Beobachtungsprotokoll, sondern höchst aufschlussreich. Der Ethnograf oder die Ethnografin hat die geltende Ordnung verinnerlicht und zeigt sich irritiert über die Dinge, die „noch“ nicht so sind, wie sie (vermeintlich) sein sollten. Eine solche Beschreibung liefe jedoch Gefahr der bloßen Reproduktion sozialer Ordnung, weil das Handeln der Teilnehmer:innen aus dem Blick gerät.

Tipp: In den Aufzeichnungen der Interpretationswerkstätten (Analyse) wird das Phänomen der Autor:innenschaft immer wieder diskutiert.

Lesetipp: Hirschauer, Stefan (2001): Ethnographisches Schreiben und die Schweigsamkeit des Sozialen. Zur Methodologie der Beschreibung. In: Zeitschrift für Soziologie 30 (6), S. 429–451.

Feldnotizen sind Protokolle des Beobachteten. Sie sind daher:
1) Zeugnisse: Durch das Protokollieren von Geschehen werden kurzlebige Ereignisse für die Nachwelt festgehalten, dokumentiert und fixiert. Was gesehen, gehört, erlebt oder sonst wie sinnlich erfahren wurde, wird durch die Niederschrift zu einem empirischen Datum. Denn: Nicht das Geschehen ist aus wissenschaftlicher Sicht der Befund, sondern erst seine Niederschrift.
2) Indikatoren: Durch das Verfassen von Feldnotizen erkennen die Forschenden, wo noch Kenntnislücken, Widersprüche, Ungenauigkeiten usw. auszumachen sind. Ähnlich wie man beim Verschriftlichen von Interviewmitschnitten erkennt, bei dem eine Frage nicht vollständig beantwortet wurde oder der Interviewer hätte nachfragen sollen, erkennt man auch beim Niederschreiben von Feldnotizen, wo Bedarf für ein intensiveres Nachfragen oder Beobachten ist. 
3) Erinnerungsstützen: In Anbetracht der Vielzahl von Beobachtungen, informellen Gesprächen, Informationen und sinnlichen Eindrücken sowie der Begrenzungen des menschlichen Erinnerungsvermögens ist nicht zu umgehen, dass der Forscher bzw. die Forscherin im Laufe der Monate etwas vergisst oder falsch bzw. verzerrt in Erinnerung behält. Hier nehmen die Feldnotizen die Funktion von Erinnerungsstützen ein, die Sachverhalte in einer möglichst neutralen Sprache so darstellen, wie man sie zum Zeitpunkt des Geschehens (bzw. kurz danach) machen konnte.
4) Grundlage der Analyse: Um Alltagsbeobachtungen in Daten zu transformieren, greift man auf die Feldnotizen und die daraus entstehenden Beobachtungsprotokolle zurück. Sie sind Grundlage und Gegenstand der Analyse, nicht unsere Erinnerungen, flüchtigen Eindrücke und Meinungen über den Forschungsgegenstand. Dementsprechend muss darauf geachtet werden, dass diese möglichst umfassend und präzise verfasst sind, um später zur Beantwortung der Forschungsfrage genutzt werden zu können.

Bei der Verdichtung der Feldnotizen geht es auch um das Entfernen redundanter Informationen. Um zu entscheiden, ob eine Information redundant ist, sollte stets die Forschungsfrage berücksichtigt werden. Man sollte sich demnach fragen: Was trägt diese Information zu meiner Forschungsfrage bei? Daher ist es wichtig, bereits vor der teilnehmenden Beobachtung eine klaren Beobachtungsfokus zu haben, um bereits während dem Verfassen der Feldnotizen Klarheit über die zu beobachteten Gegenstände zu besitzen (wenngleich sich bei ethnographischen Forschungsprozessen die Forschungsfrage häufig erst mit der Zeit spezifiziert).

ABER: Zugleich ergibt sich die Trennung von relevanten und nicht relevanten Informationen möglicherweise auch erst im Nachgang zur Teilnehmenden Beobachtung in ersten Analyseprozessen. Für die weitere teilnehmende Beobachtung schärft sich der Blick und die Trennung von relevanten und nicht relevanten Informationen wird zunehmend klarer.

In der Regel ja. Meist allein aus zeitökonomischen Gründen. Es gibt jedoch auch Forschungsprojekte, in denen zwei Ethnograf:innen gleichzeitig teilnehmend beobachten.

Natürlich beeinflusst ein teilnehmender Beobachter die Situation, z. B. indem sich die Schüler:innen im Unterricht zu ihm/ihr umdrehen, was sie ohne ihn/sie nicht täten. Aber, und das ist das entscheidende, die soziale Logik des Feldes wird nicht beeinflusst, sondern häufig sogar leichter sichtbar.
Siehe auch Frage 14

Gegenfrage: „Können wir nicht in der Art und Weise, wie wir als Forschende in bestimmten Handlungssituationen wahrgenommen und einbezogen werden, gerade etwas über die Eigenheiten unseres Forschungsfeldes lernen? Was zeigt uns die Beobachtung der Beobachter, d. h. das ‚Wie‘ unseres Einbezogenwerdens in den laufenden Handlungsvollzug über den schulischen Alltag?“ (Wiesemann 2010, 143).

 

Tipp für das Praxissemester: Unabhängig davon, ob wir durch die „Störung“ etwas über das Forschungsfeld (und über die Praxis der Ethnografie) lernen, ist es auch ratsam, ruhige Momente des teilnehmenden Beobachtens zu arrangieren, in denen man (weitestgehend) vom Handlungszwang befreit ist. Sprechen Sie ggf. mit den Schüler:innen und der Lehrkraft und weisen Sie diese (erneut) auf Ihre universitäre Aufgabe hin.

Lesetipp: Wiesemann, Jutta (2010): Ethnographie (machen) mit Kindern in der Schule: Die Beobachtung der Beobachter. In: Friederike Heinzel, Peter Cloos, Stefan Köngeter und Werner Thole (Hg.): “Auf unsicherem Terrain”. Ethnographische Forschung im Kontext des Bildungs- und Sozialwesens. 1. Aufl. Wiesbaden: VS Verl. für Sozialwiss, S. 143–151.

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Analysieren

Das Ziel von Ethnographie ist es, ein tiefes Verständnis für Kultur, Konventionen und soziale Dynamiken der untersuchten Gruppe zu entwickeln.
Forscht man ethnographisch, so versucht man typische Interaktions- und Lebensformen, Praktiken und Rituale dieser Kultur zu finden und zu rekonstruieren. ‚Kultur‘ ist dabei nicht normativ oder holistisch gefasst, sondern bezieht sich auf plurale Lebens- und Arbeitsformen so z. B. auf Lernkulturen in Schulklassen, Gesprächsdynamiken in einem Technik Start-Up, Aufgabenverteilungen in Firmen oder Peerkulturen in Sportvereinen.

Es geht somit um ‚abgrenzbare soziale Gruppen‘ und der dort stattfindenden ‚Kultur‘.

Dementsprechend sollte die Forschungsfrage ein Thema inkludieren, welches die Erforschung dieser Kultur einer sozialen Gruppe ermöglicht. Die Fragestellung ist anfangs allerdings aufgrund des dürftigen Vorwissens der Ethnograf*in nur in groben Zügen zu skizzieren und im Verlauf des Forschungsprozesses aufgrund

neuer Einsichten anzupassen.

Gerade Ethnograf*innen sind schnell von der Idee besessen, die Welt in ihrer Gesamtheit erfassen zu wollen. Aber für empirische Sozialforschung gilt generell: Vorne wird ein riesiger Aufwand reingesteckt, und hinten kommen immer nur kleine Brötchen raus – was gar nicht gegen Forschung spricht, aber Ethnograf*innen auf einen gewissen Realismus verpflichtet (Thomas, 2018). Die Fokussierung auf einen Aspekt der zu beobachtenden soziale Gruppe ist somit nicht problematisch.

Für den Analyseprozess ethnographischer Studien kann kein standardisiertes Analyserezept beschrieben werden, denn viele der analytischen Aktivitäten umfassen Tätigkeiten, die unscheinbar und alltäglich erscheinen, wie passende Formulierungen finden, Nachdenken etc.
In bestehenden ethnographischen Studien sind ebenfalls selten explizite Ausführungen über die Datenanalyse zu finden. Zudem bietet die Ethnographie einen explorativen Umgang mit verschiedenen Methoden der Datenauswertung.
Es lassen sich jedoch drei grundlegenden Praktiken in der Analyse ethnografischer Daten identifizieren, denen unterschiedliche Funktionen im Forschungsprozess zukommen und die es in konstruktiver Weise zu kombinieren gilt.

Es sind die Praktiken des Codierens, der Fallanalyse und des Zusammenfassens und Verallgemeinerns.
Für genauere Einblicke in diese Auswertungspraktiken den nachfolgenden Lesetipp beachten.

Lesetipp:
Breidenstein, G.; Hirschauer, H.; Kalthoff, H. & Nieswand, B. (2020). Ethnografie. Die Praxis der Feldforschung. Konstanz & München: UKV Verlag.

Eine große, wenn nicht gar die größte, Herausforderung ethnografischer Forschung ist das Befremden des nur allzu Vertrauten. Wahrscheinlich sind Sie mit dem Feld so vertraut (geworden) und bewegen sich so souverän in diesem, dass Sie daher selbst die naheliegendsten Dinge nicht mehr sehen können. Dieses Problem wird in der ethnografischen Forschung unter dem Stichwort „going native“ seit langem intensiv diskutiert. Ethnografische Analysen sind weniger an strikt anzuwendenden Analyseverfahren orientiert. Ethnografisches Schreiben und Analysieren ist vielmehr auch ein kreativer Prozess: „ […] it is embodied in the ethnographer´s ideas and hunches“ (Hammersley & Atkinson 2019, 167)

 

Tipp 1: Arbeiten Sie nicht alleine. In der Diskussion und dem Austausch mit anderen (z. B. in einer Interpretationsgruppe) entstehen häufig hilfreiche Ideen (oder Begriffe, Vergleiche, Metaphern) für die Arbeit mit dem Datenmaterial.

Tipp 2: ‚Spielen‘ Sie mit dem Material. Verändern Sie den Kontext oder vertauschen Sie die Rollen der Akteur*innen. Der Kreativität sind keine Grenzen gesetzt und manchmal entstehen auch aus vermeintlich abwegigen Veränderungen oder Vergleichen interessante Ansätze zur Analyse.

Tipp 3: Eine Situation beschreiben und analysieren (Achtung: auch schon die Beschreibung ist interpretativ), mit der man nicht bereits vertraut ist.

Tipp 4: Lesen Sie andere Ethnografien (s. Literatur)

Forschende werden dazu aufgefordert, den eigenen Standort innerhalb des
wissenschaftlichen Feldes sowie die Beziehungen zu den Erforschten und den
Forschungsgegenständen reflexiv in die Analysen einzubinden.
Die Voreinstellungen und die kollektiven und unbewussten Vor-Urteile, die bereits in den Fragestellungen, Kategorien und dem jeweiligen Wissenschaftsverständnis der Forschenden verborgen liegen, gilt es demnach aufzuklären, was in den unterschiedlichen Forschungsstilen als sensibilisierende Konzepte (sensitizing concepts), Präkonzepte usw. bezeichnet und beschrieben wird (Richter, 2022).

Es geht also weniger darum, Interpretationen aktiv zu vermeiden, sondern diese der Beobachtung zur Verfügung zu stellen, denn indem wir als Beobachter*in unsere eigene Interpretationsleistung in der Situation beobachten,  lernen wir gleichzeitig etwas über die jeweilige Interpretativität dieser Situation.

 

Lesetipp:
Richter, S. (2022). Befremdung als ethnographische Haltung forschenden Lernens. Lern- und Bildungsprozesse in der Hochschule anstoßen.
In M. Kondratjuk, O. Dörner, S. Tiefel, H. Ohlbrecht. Qualitative Forschung auf dem Prüfstand. Beiträge zur Professionalisierung qualitativ-empirischer Forschung in den Sozial- und Bildungswissenschaften. Verlag Barbara Budrich.

Die Anzahl der teilnehmenden Beobachtungen, die für eine ethnographische Studie erforderlich sind, variiert stark und hängt von mehreren Faktoren ab, einschließlich des Forschungskontexts, der Komplexität des untersuchten Phänomens und der Forschungsziele. Ethnographische Forschung ist in der Regel qualitativer Natur und zielt darauf ab, tiefgehende Einsichten in die Lebenswelten und Perspektiven der Menschen zu gewinnen. Daher gibt es keine feste Regel oder eine spezifische Anzahl von Beobachtungen, die allgemein gültig ist.
Orientiert am Konzept der theoretischen Sättigung (Glaser & Strauss, 1998) gilt jedoch: es werden so lange Daten erhoben, bis keine neuen Erkenntnisse  (für die vorliegende Forschungsfrage) mehr gewonnen werden.

Die Forschungsfrage einer ethnographischen Studie muss am Ende nicht unbedingt eindeutig und allumfassend beantwortet werden können, da ethnographische Forschung oft explorativ und interpretativ ist. Ethnographien zielen darauf ab, tiefere Einsichten und ein umfassendes Verständnis der untersuchten sozialen Phänomene zu gewinnen, anstatt definitive und universell gültige Antworten zu liefern.

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Eine ethnografische Studie verfassen

Inhaltsverzeichnis und Überschriften sind für die Leser*innen der erste Hinweis auf die Inhalte. Verwenden Sie daher aussagekräftige Überschriften, die spezifisch auf den Inhalt ihrer Kapitel hinweisen. “Beobachtungsprotokoll” oder “Analytische Dimensionierung” sind zu allgemein. Vorschläge (!): “Beobachtungsprotokoll: “Ich will, ich will, ich will”” oder “(Dringliches) Melden als soziale Praxis”.

Verweisen Sie am besten nicht auf Stellen im Beobachtungsprotokoll im Stil von
“(s. Z. 3-5)”, weil das des Lesefluss ungemein stört. Sie können (kurze! oder gekürzte!) Kernpassagen (oder auch nur Wörter) des Protokolls in den Fließtext einarbeiten, indem Sie diese beispielsweise kursiv setzen. Zum Beispiel: “Peters hektisches Melden inszeniert … oder: während Emilie laut “Ich will, ich will, ich will” ruft…”. Alternativ können auch Einfügungen in Klammern sinnvoll sein. Zum Beispiel: “Peters bewirbt sich um das Rederecht (hektisches Melden) ebenso wie Emilie mit ihrem lauten Rufen (“Ich will, ich will, ich will”).

Siehe oben FAQ-Analysieren 

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Ethnografische Perspektive auf Schule und Unterricht

Auch der Unterricht hat eine Hinterbühne. Hierzu zählt das, was nicht zum Unterricht gehört. Zum Beispiel Zettelchen schreiben (s. Bennewitz, H. (2009). Zeit zu Zetteln! – Eine Praxis zwischen Peer- und Schülerkultur. In H. de Boer & H. Deckert-Peaceman (Hrsg.), Kinder in der Schule: Zwischen Gleichaltrigenkultur und schulischer Ordnung (1. Aufl., S. 119–136). VS Verlag) während zeitgleich Unterricht gemacht wird – auch von den Zettelschreibenden.

Das Soziale ist kein Dschungel (nur, weil der Pädagoge es nicht versteht) – Auch Pause hat eine soziale Ordnung. Diese gilt es zu beschreiben.

Man kann die Wahrnehmung der Autorität der Lehrerin durch die Akteur*innen nicht beschreiben, da Wahrnehmungen nicht beobachtet werden können („Peter nimmt wahr, dass…“). Autorität wird vielmehr erst durch die Akteur*innen hergestellt – sie ist nicht einfach da. Diese Herstellung wiederrum kann beschrieben werden.

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Sonstige Fragen

Gegenfrage: Könnte dann jemand, der ein Elternteil ist, keine Kinder beobachten? Unabhängig davon, ob man Vorwissen über eine zu beobachtende soziale Gruppe hat (z. B. weil man Teil von ihr ist oder häufig in Interaktion mit dieser steht), gilt es bei einer teilnehmenden Beobachtung stets um das Aushandeln von empathischer Teilnahme and der Lebenspraxis und auf Distanz gehende Beobachtung der alltäglichen Gegebenheiten der Kultur (Thomas, 2019, S.69). Das bedeutet, dass der/die  Ethnograf*in dennoch seine/ihre eigenen Interpretationen, seinen/ihren eigenen kulturellen Bedeutungsrahmen nicht auf das Untersuchungsfeld projizieren

Ethnographische Forschung in der Schulpraxis kann im Sinne qualitativer Schulentwicklung nutzbar gemacht werden.

Generell gilt jedoch, dass eine teilnehmende Beobachtung in ethnographischen Studien nicht gleichzeitig zur Durchführung eigener Unterrichtsstunden geschehen sollte. Doch auch außerhalb des Unterrichts bieten sich viele Möglichkeiten für teilnehmende Beobachtungen: z.B. (Rollen)-Verhalten von Lehrkräften im Lehrerzimmer, peerkulturelle Verhaltensweisen während der Frühstückspause…
Durch fokussiertes Beobachten, das Erstellen von Protokollen und das Weiterbearbeiten zu möglichst dichten Beschreibungen (Geertz, 1983) kann ein distanziertes, ‚befremdetes‘ Verhältnis zum scheinbar Vertrauten eingenommen werden. Das Selbstverständliche wird hinterfragungswürdig und erlaubt neue Zugänge zu biografisch erlernten und gewohnten Praktiken (Lindner & Rosenberg, 2019).

Nein, mithilfe einer ethnographischen Studie lässt sich nicht jede Forschungsfrage beantworten.

Das Ziel von Ethnographie ist es, ein tiefes Verständnis für Kultur, Konventionen und soziale Dynamiken der untersuchten Gruppe zu entwickeln. Forscht man ethnographisch, so versucht man typische Interaktions- und Lebensformen, Praktiken und Rituale dieser Kultur zu finden und zu rekonstruieren. Richtet sich die Forschungsfrage somit nicht diesem Ziel, so scheint eine Ethnographie nicht sinnvoll.

Unabhängig davon, ob sich die gewählte Forschungsfrage mithilfe ethnographischer Studien beantworten lässt, kann sich auch der Zugang zum Feld (z.B. aus ethischen, rechtlichen oder strukturellen Gründen) in Form einer teilnehmenden Beobachtung verwehrt werden.

„Die teilnehmende Beobachtung bildet [] das Zentrum der Ethnografie. Sie stiftet die soziale Form, in der alle möglichen Daten erst gewonnen werden können. Auf der Basis einer Begleitung von Praktiken und Personen an einem Ort über längere Zeit werden Vertrauensbeziehungen aufgebaut, informelle Gespräche geführt, Dokumente aller Art erhoben, Fotos geschossen, Gespräche der Teilnehmer aufgezeichnet. Es gibt also keine Beschränkung auf einen bestimmten Datentyp, man geht vielmehr sehr offen und gelegenheitsgetrieben vor und nimmt alles an Eindrücken und Daten mit, das gewinnbringend scheint.“ (Breidenstein et al, 2020, 38)

Jede ethnographische Studie beinhaltet die Erhebung von empirischen Daten mithilfe einer teilnehmenden Beobachtung. Diese kann (muss jedoch nicht) durch weitere Datenerhebungsmethoden ergänzt werden. Hierbei muss in Rückbezug auf die Forschungsfrage jedoch stets bedacht werden, welchen Mehrwert die Ergänzung einer weiteren Erhebungsmethoden für die Beantwortung der vorliegenden Forschungsfrage bietet, z. B.: Bieten Interviews zusätzliche Einblicke in Situationen, die als Beobachter*in nicht zugänglich waren oder in der Vergangenheit liegen? Das heißt: Lässt sich etwas verstehbar machen, das nicht beobachtbar ist?

Ist eine teilnehmende Beobachtung nicht zielführend, so ist ebenfalls eine ethnographische Studie nicht sinnvoll, da diese als Zentralstrategie angesehen wird.


Eine teilnehmende Beobachtung ist dann nicht sinnvoll, wenn Daten zu etwas erhoben werden sollen, das nicht beobachtbar ist (z. B. internalistische Lernprozesse, wenngleich Lernen nicht nur im Kopf, sondern in sozialen Situationen stattindet. „Lernen ist als soziale Handlung beobachtbar“ (vgl. Wiesemann 2008)). Ob eine teilnehmende Beobachtung als Methode der Datenerhebung in Frage kommt ist somit abhängig vom Erkenntnisinteresse, dem zugrundeliegenden theoretischen Verständnis, dem Untersuchungsgegenstand und den zeitlichen Ressourcen.

Zinnecker benutzte bereits 1995 die Formulierung des befremdenden Blicks für die Beschreibung einer für Pädagogen adäquaten erziehungswissenschaftlichen Grundhaltung: ‘Es ist ein befremdender Blick, der auf die praxeologischen Selbstverständlichkeiten des Handelns und Wissens von Pädagogen und Kindern trifft und diese reflexiv verfügbar macht.’ (Zinnecker 1995, S.21) Konträr zu der Vorstellung, die schulische Praxis sei uns nur allzu vertraut, setzt eine solche befremdende Entdeckungsperspektive darauf, aufgrund eines methodisch gesteuerten Bruchs mit der Vertrautheit neu über die elementaren Phänomene nachdenken zu können. Oder um es anders zu formulieren: Um Schule wirklich neu denken zu können, muss man sie immer wieder mit neuen Augen sehen können.“ (Wiesemann 2011, S. 167)

 

Lesetipp: Wiesemann, Jutta (2011): Ethnographische Forschung im Kontext von Schule. In: Heinz Moser und Hans-Ulrich Grunder (Hg.): Forschung in der Lehrerbildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 167–185.

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Zinnecker benutzte bereits 1995 die Formulierung des befremdenden Blicks für die Beschreibung einer für Pädagogen adäquaten erziehungswissenschaftlichen Grundhaltung: ‚Es ist ein befremdender Blick, der auf die praxeologischen Selbstverständlichkeiten des Handelns und Wissens von Pädagogen und Kindern trifft und diese reflexiv verfügbar macht.‘ (Zinnecker 1995, S.21) Konträr zu der Vorstellung, die schulische Praxis sei uns nur allzu vertraut, setzt eine solche befremdende Entdeckungsperspektive darauf, aufgrund eines methodisch gesteuerten Bruchs mit der Vertrautheit neu über die elementaren Phänomene nachdenken zu können. Oder um es anders zu formulieren: Um Schule wirklich neu denken zu können, muss man sie immer wieder mit neuen Augen sehen können.“ (Wiesemann 2011, S. 167)

  • Lesetipp: Wiesemann, Jutta (2011): Ethnographische Forschung im Kontext von Schule. In: Heinz Moser und Hans-Ulrich Grunder (Hg.): Forschung in der Lehrerbildung. Baltmannsweiler: Schneider-Verl. Hohengehren, S. 167–185.

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