Anfänge in der Grundschule – Unterrichtsanfänge im Regelunterricht und Stundenanfänge in der Notbetreuung im Vergleich

Diese Arbeit ist aus Gründen des Datenschutzes anonym veröffentlicht.

Einführung

„Was kennzeichnet einen beforschten Anfang?“ (Schelle, 2018, S. 86)

Anfang machen im Kontext Schule ist bei weitem noch nicht so erforscht, wie vielleicht zunächst angenommen werden würde, da dieser oft nicht mit in Beobachtungen aufgenommen und als eher nebensächlich betrachtet wird (vgl. ebd.). Unterrichtsanfänge werden zwar als „dynamisches Geschehen“ (Juen, 2013, S. 102f.) gesehen, es ist aber nicht einheitlich definiert, was sie genau konstituiert und wo sie anfangen (vgl. Becker-Mrotzek & Vogt, 2001, S. 142).

Um Unterrichtsanfänge näher betrachten und die für das Studienprojekt getätigten Beobachtungen definieren zu können, muss zunächst geklärt sein, was Unterricht im Allgemeinen ist. Nach Breidenstein und Tyagunova handelt es sich bei dem Schulunterricht um eine soziale Praxis, die zeitlich begrenzt ist und bei der sich Lehrkräfte, Schülerinnen und Schüler gemeinsam in einem Interaktionsfeld befinden (vgl. 2016, S. 77 f.). Nicht so deutlich definiert ist, wann genau eine Unterrichtsstunde beginnt (vgl. Tyagunova & Breidenstein, 2016, S. 81). Dies kommt jeweils auf die praktischen Umstände an, die je nach Schule, Klasse, Lehrkraft und Vorgaben variieren können (vgl. ebd.). Außerdem wird hier nochmal in zwei Phasen unterteilt: „in die Stundeneröffnung und den Unterrichtseinstieg“ (Juen, 2013, S. 31). Die Stundeneröffnung hat zunächst das Ziel, eine angenehme Lernatmosphäre herzustellen und die Lerngruppe zu etablieren, während der Unterrichtseinstieg gekennzeichnet ist durch das Befassen mit dem jeweiligen Thema der Stunde (vgl. Hüdepohl, 2009, S. 250). Im Kontext der vorliegenden Arbeit handelt es sich daher bei der ersten Beobachtung eher um eine Stundeneröffnung, während die zweite Beobachtung nochmal gesondert betrachtet werden muss. Sie weist weder Merkmale von Unterricht, noch einer Stundeneröffnung auf, da die Kinder eigenständig beginnen an unterschiedlichen Materialien zu arbeiten, ohne, dass von Seiten der Lehrkraft eine Lern- und Arbeitsatmosphäre hergestellt werden muss. Außerdem findet kaum Interaktion zwischen den teilnehmenden Personen statt und es wird nicht gemeinsam an einem Stundenthema gearbeitet. Daher handelt es sich bei der zweiten Beobachtung eher um einen allgemeinen Stundenanfang, der nur an der Uhrzeit festgemacht wird. Da trotz Notbetreuung weiter an den festen Schulzeiten mit einem Beginn um acht Uhr und den normalen Pausenzeiten festgehalten wurde und die gleiche Lehrerin beobachtet wird, handelt es sich um ähnliche Gegebenheiten, mit Ausnahme der Lerngruppe und dem Klassenraum. Die Fragestellung hinsichtlich des Studienprojekts lautet also: Wie unterscheidet sich der Stundenanfang während der Notbetreuung von dem Unterrichtsbeginn im Regelunterricht?

Zunächst wird im Folgenden das methodische Vorgehen im Studienprojekt dargestellt und eine Reflexion der eigenen Rolle, sowie das Vorstellen der beiden Lernkulturen finden statt. Anschließend folgen die beiden dichten Beschreibungen und deren analytische Dimensionierung. Die Arbeit endet mit einem Fazit, einer Zusammenfassung und einem kurzen Ausblick.

Mein methodisches Vorgehen

Im Rahmen meines Praxissemesters habe ich ein Studienprojekt an meiner zugeteilten Grundschule durchgeführt. Auf dem Hintergrund meiner Fragestellung habe ich mich auf die ethnografische Feldforschung konzentriert, mit dem hier spezifischen Feld des schulischen Unterrichts (vgl. Breidenstein, 2012, S. 28).

Hierbei handelt es sich um eine sozialwissenschaftliche Forschungsstrategie mit Fokus auf der teilnehmenden Beobachtung (vgl. Breidenstein, 2012, S. 27). Ursprünglich ging es bei der Ethnographie noch darum, eine fremde Kultur zu erforschen, ohne Erklärungen oder Urteile zu fällen (vgl. Breidenstein, 2012, S. 28). Die neu gefasste, hier genutzte Ethnographie zielt darauf ab, etwas bereits bekanntes zu beobachten „als sei es fremd“ (Amann & Hirschauer, 1997, S. 12), um neue Entdeckungen zu machen und Erkenntnisse zu sammeln.

Mein Interesse während der Beobachtungen galt vor allem den Interaktionen und Handlungen der Schülerinnen und Schüler, aber auch der Lehrkraft. Während der Beobachtungszeit habe ich Notizen gemacht, diese direkt im Anschluss geordnet und ergänzt, um anschließend „dichte Beschreibungen“ zu verfassen, welche möglichst übersichtlich, präzise und verallgemeinerungsfähig sind (vgl. Breidenstein, 2012, S. 31).

Außerdem habe ich bei beiden Beobachtungen darauf geachtet, alle handelnden Personen gut im Blick zu haben, um eine detaillierte Beobachtung anfertigen zu können und „Mikrostrukturen des jeweils konkreten unterrichtlichen Geschehens aufzuspüren“ (Wiesemann, 2011, S. 174).

Zunächst war geplant, dass ich den Unterrichtsanfang in meiner zugeteilten Klasse bei der Klassenlehrerin beobachte und diesen mit einem Unterrichtsanfang in der gleichen Klasse vergleiche, wenn eine andere Lehrerin den Unterricht beginnt. Da allerdings aufgrund der Corona-Pandemie im Januar kein Regelunterricht mehr stattgefunden hat, sondern nur noch eine Notbetreuung für einzelne Schülerinnen und Schüler, konnte die zweite Beobachtung nicht angefertigt werden. Die Thematik wurde daraufhin so abgeändert, dass die bereits im Dezember gemachte Beobachtung verglichen werden sollte mit einem Stundenanfang in der Notbetreuung. Der Themenwechsel erfolgte zwar erst nach Abschluss der ersten Beobachtung, war allerdings im Hinblick auf die neue Fragestellung kein Hindernis und die Beobachtung konnte übernommen werden. Im Hinblick auf die Fragestellung „Wie unterscheidet sich der Unterrichtsbeginn im Regelunterricht von demStundenanfang in der Notbetreuung?“, wurde im Januar dann in einer kleinen Gruppe, mit mir fremden Kindern, die zweite Beobachtung durchgeführt. Hier wäre noch zu erwähnen, dass es sich, trotz unterschiedlicher Lerngruppen, um die gleiche Uhrzeit und die gleiche Lehrerin handelt, sodass sich der Vergleich anbietet und sinnvoll erscheint.

Meine Teilhabe in der Beobachtung bestand „darin, die Aktivitäten der Akteure zu beobachten, zu beschreiben und zu verstehen“ (Wiesemann, 2011, S. 168). Im weiteren Verlauf werden die gewonnenen empirischen Befunde näher analysiert und miteinander verglichen, um die Unterschiede der beiden Beobachtungen herauszuarbeiten. Dabei gehe ich „Schritt für Schritt vor und folge damit der sich im Vollzug entfaltenden Logik der Praxis“ (Breidenstein, 2012, S. 36).

Reflexion

Meine Rolle im Feld als Forscherin

Während des Praxissemesters wechselte ich immer wieder zwischen den Rollen als Forscherin und Praktikantin. Durch meine teilnehmende Beobachtungsrolle nahm ich zwar am Geschehen teil, habe mich aber bewusst aus dem Handlungsverlauf des Unterrichts rausgehalten, um mich auf das Beobachten zu konzentrieren. Dies stand im Gegensatz zu meiner restlichen Rolle in der Klasse, da diese ansonsten geprägt war von einem regen Austausch mit den Schülerinnen und Schülern, dem Verfügbarstehen bei Fragen und dem Leiten von einzelnen Unterrichtssequenzen oder Unterrichtsstunden. Während ich die meiste Zeit des Praxissemesters in der Klasse umherging, vorne bei der Tafel einen Sitzplatz direkt neben einer Schülerin hatte, oder am Pult bei der Lehrkraft stand, entschied ich mich während der Beobachtungen bewusst dafür, hinten an einem Einzeltisch zu sitzen. Von dort hatte ich eine gute Sicht auf die Eingangstür, den vorderen Bereich der Klasse und alle Sitzplätze der Schülerinnen und Schüler. Außerdem stand dort ein Tisch und ich konnte direkt im Anschluss der Beobachtung noch an den Notizen arbeiten.

Zum Zeitpunkt der ersten Beobachtung war ich bereits über zehn Wochen in der Klasse, hatte bereits Vertrauen zu den Schülerinnen und Schülern aufgebaut und fühlte mich wohl damit, Unterrichtsstunden zu leiten. Das ethnographische Beobachten hingegen war mir weniger vertraut, da ich bisher eher Notizen bezüglich Unterrichtsmethoden und Ideen für eigene Unterrichtsstunden gesammelt hatte. Trotzdem funktionierte dies gut und die Schülerinnen und Schüler akzeptierten ab der ersten Beobachtung, dass ich währenddessen ich hinten saß, nicht für Fragen zur Verfügung stand. Der Wechsel zwischen Ethnographin und Praxissemesterstudentin fand immer wieder statt, ohne Probleme aufzuwerfen.

Anders war dies bei der zweiten Beobachtung, da ich keines der Kinder kannte und daher nicht wusste, wie auf mich reagiert wird. Außerdem wussten die Schülerinnen und Schüler nichts von meiner Beobachtungsaufgabe.  Da zu einem Großteil der Beobachtung keine Lehrkraft im Klassenzimmer war und kaum Interaktionen stattgefunden haben, hatte ich Schwierigkeiten damit, viele Notizen zu machen. Gerade durch das fehlende Erwidern meiner Begrüßung (vgl. Kapitel 5.3.) fühlte ich mich auch eher unwohl während des Beobachtungszeitraumes. Auch die Sitzplatzwahl war eine andere, da ich das erste Mal in dem Klassenraum war und nicht wusste, wo die Schülerinnen und Schüler Platz nehmen werden und wie viele überhaupt an der Notbetreuung teilnehmen. Daher habe ich mich an den Pult neben der Tafel gesetzt, von dem aus man zwar alle Tische der Kinder gut im Blick hat, allerdings nicht klar war, wie gut ich die Lehrperson beobachten kann.

Reaktionen des „Feldes“ auf meine Anwesenheit als Forscherin

Da mich die Klasse 4a seit vielen Wochen kennt, sowohl als Praxissemesterstudentin die den Unterricht unterstützt und bei Fragen zur Verfügung steht, als auch als leitende Lehrkraft, die ganze Unterrichtsstunden und auch einzelne Unterrichtstage übernommen hat, bin ich ihnen sehr vertraut. Außerdem sind sie es gewöhnt, dass ich regelmäßig hinten an dem Einzeltisch Platz genommen habe, um mir den Unterricht genauer anzusehen und Notizen zu machen. Dies wurde nicht weiter hinterfragt und es wurde akzeptiert, dass ich dabei möglichst nicht angesprochen werden sollte. Durch meine andere Sitzplatzwahl und das Arbeiten an den Notizen war für alle immer direkt klar, an welchen Tagen dies der Fall war.Allerdings kam es vorab oder auch nach den Beobachtungen dazu, dass einzelne Schülerinnen und Schüler auf mich zukamen und wissen wollten, was genau ich beobachte und wieso ich das tue. Meine Erklärung, dass ich mir ihren Schulalltag genauer anschaue oder Aufgaben für meine Universität erledige, reichte ihnen aus und wurde nicht weiter hinterfragt.

Zu den Kindern der zweiten Lerngruppe bestand kein vertrautes Verhältnis, da sie mich nicht kannten, außer eventuell von der Aufsicht auf dem Schulhof. Dies zeigte sich auch darin, dass keines der Kinder auf mich zukam oder mich ansprach, obwohl sie nicht wussten, in welcher Rolle ich in der Klasse bin. Sie haben mich zwar alle wahrgenommen und kurz angesehen, allerdings erfolgte keinerlei Kommunikation oder sichtbare Reaktion auf mein Dasein.

Beschreibung der Lernkultur der Klasse

Ich habe mein Praxissemester an einer zweizügigen, katholischen Bekenntnisgrundschule in Siegen durchgeführt und den Großteil meiner Zeit in der Klasse 4a verbracht, da die Klassenlehrerin auch meine Mentorin war. Meine erste Beobachtung fand auch in dieser Klasse statt, wobei es sich um 13 Mädchen und 7 Jungen handelt. Nach Angaben meiner Mentorin sind mehr als die Hälfte der Familien als bildungsfern eingestuft und insgesamt haben 17 Kinder einen Migrationshintergrund, acht von ihnen mit noch großen sprachlichen Problemen. Bei einer Schülerin wurde eine Lernbehinderung diagnostiziert, eine weitere hat ADHS und wird mit Ritalin behandelt. Daher ist jeden Tag eine Integrationshelferin mit in der Klasse, die die Lehrkraft unterstützt, besonders hinsichtlich der beiden zuvor genannten Schülerinnen.

In von mir durchgeführten Stunden wurde deutlich, dass die Klasse bei ihrer Klassenlehrerin deutlich leiser arbeitet und weniger Unruhe herrscht, als wenn ich die leitende Lehrkraft im Raum war. Die Beteiligung war aber erfreulicherweise immer sehr hoch und auf Aufforderung hin wurde es immer deutlich leiser, sodass eine angenehme Arbeitsatmosphäre herrschte. Außerdem nahm die Klasse mich sehr offen auf, freute sich auf von mir durchgeführte Stunden und meldete mir anschließend oft zurück, dass sie großen Spaß hatten.

Der Klassenraum der 4a ist sehr groß und verfügt über eine einseitige Fensterfront, von der aus man auf einen Wald und die große, zur Schule gehörende Spielwiese blicken kann. Gegenüber der Fensterfront stehen viele Regale und Schränke, die einen sehr ordentlichen Eindruck machen. Lediglich das Regal an der hinteren Wand des Klassenzimmers, in dem jedes Kind ein eigenes Fach besitzt, ist sehr unaufgeräumt. Direkt daneben sind vier Sitzbänke übereinandergestapelt, da sie zurzeit nicht genutzt werden dürfen. Dies führt dazu, dass in der Mitte des Raumes viel Platz ist, da die Bänke dort normalerweise stehen und die Doppeltische der Kinder dahinter in einer U-Form aufgestellt sind. Bei der Ordnung der Tische wurde darauf geachtet, dass sich alle Schülerinnen und Schüler im Blick haben, da viele Unterrichtsphasen darauf ausgelegt sind, dass sich gegenseitig drangenommen und diskutiert wird. Trotzdem ist, durch leichtes Drehen der Stühle, die Tafel für alle gut sichtbar, sodass der Mittelpunkt des Unterrichts jederzeit dorthin verlegt werden kann.

Bei der zweiten Lerngruppe handelte es sich um drei Kinder aus drei verschiedenen Klassenstufen, die ich bisher nur vom Sehen kannte. Auch meine Mentorin, die am Tag der zweiten Beobachtung die Aufsicht über die Gruppe übernahm, hatte bisher keines der Kinder im eigenen Unterricht und somit keine vertraute Beziehung zu ihnen. Sie kommen alle aus bildungsfernen Haushalten und haben einen Migrationshintergrund. Während deutschlandweit eine klare Differenz zwischen Berechtigung und der Inanspruchnahme der Notbetreuung besteht, und viele berechtigte Eltern ihre Kinder nicht in die Schule schicken (Langmeyer u.a., 2020, S. 19), ist es an meiner Praktikumsschule andersherum. Nicht nur berechtigte Familien schicken ihre Kinder in die Notbetreuung, sondern auch viele Eltern darüber hinaus. So ist es auch in dieser Lerngruppe, da ihre Zuordnung zu der Notbetreuung nicht darauf basierte, dass ihre Eltern arbeiten und sie daher Zuhause unbeaufsichtigt gewesen wären, sondern von Seiten der Lehrkräfte gewünscht war, dass sie kommen. Auf Nachfrage hin begründeten sie dies damit, dass die Kinder zu Hause keinerlei Unterstützung oder Aufsicht erhalten und man Sorge um ihren Zustand hätte, falls sie über Wochen nicht zur Schule kommen würden.

Von keinem der Kinder war der Raum der Notbetreuung das eigentliche Klassenzimmer, sodass auf diesen hier nicht näher eingegangen wird.

Dichte Beschreibungen und ihre analytische Dimensionierung

Alltag in der Klasse 4a

Die Lehrkraft kommt kurz vor dem Klingeln in den Klassenraum. Einige Schülerinnen und Schüler sitzen bereits an ihren Plätzen, unterhalten sich angeregt mit ihren Sitznachbarn und andere stehen in Gruppen in der Klasse.Dabei handelt es sich mit einer Ausnahme um geschlechtshomogene Gruppen. Insgesamt herrscht eine gesellige Stimmung und es wird viel gelacht und sich lautstark unterhalten.

Die Lehrerin stellt ihre Sachen am Pult ab und Lena läuft direkt zu ihr, um einen Zettel abzugeben. Frau Müller nimmt diesen beiläufig entgegen und fragt das Mädchen, ob es ihr besser geht. Sie unterhalten sich noch, als es zur ersten Stunde klingelt.

Die Lehrerin schickt Lena auf ihren Platz und stellt sich vor die Klasse. Sofort wird es etwas leiser, die sich unterhaltenden Gruppen werden aufgelöst und alle gehen auf ihre Plätze. Nachdem die Lehrkraft fragt, wer fehlt und darauf hinweist, dass deren Stühle bitte noch von den Tischen genommen werden sollen, rufen mehrere Kinder die Namen der Fehlenden laut durcheinander. Die drei Kinder, die jeweils neben dem noch hochgestellten Stuhl sitzen, nehmen die Stühle von den Tischen, während die Lehrerin erklärt, dass zwei der Kinder sich noch in Quarantäne befinden und ein Kind krankgemeldet sei. Inzwischen schauen alle Kinder nach vorne und haben die Gespräche eingestellt.

Frau Müller schaut in die Runde und sagt mit freundlicher Stimme: „Ich wünsche euch allen einen schönen guten Morgen!“. Im Chor begrüßen die Schülerinnen und Schüler zunächst die Lehrkraft, die Integrationshelferin und zuletzt mich. Die Integrationshelferin schließt die Fenster, während Frau Müller die Tür schließt und zu dem Klassenschrank geht, der zwischen der Tafel und der Tür steht. An der Schranktür kleben viele verschiedene Gebete, aus denen jeden Morgen von der Lehrerin eines ausgewählt und vorgetragen wird. Alle stehen ohne zu sprechen auf und die Lehrkraft wartet mit Blick auf die Klasse, bis es ganz leise ist und alle zu ihr sehen. Dann beginnt sie mit den Worten: „Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes, Amen.“ Währenddessen machen alle gemeinsam das Kreuzzeichen und hören im Anschluss daran zu, als die Lehrerin mit ruhiger Stimme sehr betont ein Gebet vorspricht. Dabei haben einige Kinder die Hände verschränkt, manche haben ihre Hände auf der Tischkante und wieder andere lassen die Arme einfach baumeln. Als sie fertig ist, setzen sich alle hin und es beginnen Gespräche untereinander, die allerdings direkt eingestellt werden, als die Lehrkraft kräftig in die Hände klatscht und sie laut sagt, dass sie anfangen möchte und das Stundenthema vorstellt.

Erste analytische Dimensionierung: Die Perspektive der „Kinder“-Akteure

Die beschriebene Szene spielte in einem zeitlichen Rahmen von elf Minuten im Klassenraum der 4a. Die Schülerinnen und Schüler können eigenständig ab 7:45 Uhr in den Raum, daher befinden sich bereits seit einigen Minuten viele Kinder in der Klasse.

Das Eintreten der Lehrkraft wird nicht von allen wahrgenommen, was daran zu sehen ist, dass Kinder mit dem Rücken zum vorderen Bereich der Klasse stehen, sich aber auch nicht umdrehen oder untereinander kommunizieren, dass Frau Müller gekommen ist. Außerdem ändert ihr Eintreten nichts an den Gesprächen oder der Aufteilung im Raum, was zeigt, dass ihr Eintreten nicht das Ereignis Unterricht für alle einleitet (vgl. Wagner-Willi, 2018, S. 60).

Die ausgelassene Stimmung und die angeregten Gespräche sind Ergebnisse der Interaktionen der verschiedenen Peergroups im Klassenraum. Diese sind in ähnlichen Zusammensetzungen wie schon in den Wochen davor und nur ein Junge steht in einer Gruppe mit Mädchen zusammen. Ansonsten handelt es sich um reine Mädchen- oder Jungengruppen, die unabhängig von der Sitzordnung sind. Diese geschlechtshomogene Aufteilung ist typisch für die vierte Klasse und löst sich oft erst einige Jahre später wieder auf (vgl. Tillmann, 1992, S. 14). Auch der Gang zum Pult und das Abstellen der Tasche ist ein typisches Ritual der Lehrerin, wobei sie die Aufmerksamkeit einer Schülerin auf sich lenkt und diese zu ihr nach vorne geht, um einen Zettel abzugeben. Der Schülerin scheint bewusst zu sein, dass der Unterricht noch nicht losgegangen ist und sie die Möglichkeit hat, Zeit der Lehrkraft zu beanspruchen. Diese „liminale Phase [vor dem]Unterricht lässt Raum für dyadische Prozesse zwischen einzelnen Schülern und dem Lehrer“ (Wagner-Willi & Göhlich, 2001, S. 187). Die Bezeichnung der Phase, die ausdrücken soll, dass noch kein Unterricht angefangen hat, wird von dem Ritualforscher Victor Turner als „liminale“ beziehungsweise als „Schwellenphase“ bezeichnet (vgl. 1989, S. 94) und ist auf ihn zurückzuführen. Diese dyadische Interaktion wird hier in der Unterform deutlich, dass die Schülerin der Lehrerin etwas übergibt. Dies ist ein vertrautes Muster, das zur Unterrichtsvorbereitung zählt (vgl. Wagner-Willi & Göhlich, 2001, S. 187).

Ähnlich ist es bei dem Klingeln, da dieses klassischerweise ein organisatorisches Ordnungssignal darstellt, auf das die Schülerinnen und Schüler reagieren, da es anzeigt, dass ein zeitlich gebundener Unterricht beginnt (vgl. Wolf, 2020, S. 9). Während dieses Signal den Schülerinnen und Schülern nach der Pause geläufig ist und sie daraufhin zurück in die Klasse kommen, ruft es zu Beginn des Schultages keinerlei Reaktion bei den Kindern hervor und scheint keinen Aufforderungscharakter zu haben, sich auf die Unterrichtsstunde vorzubereiten. Allerdings reagiert die Lehrkraft auf das Klingeln, schickt die Schülerin auf ihren Platz und nimmt eine für alle gut sichtbare Position vor der Tafel ein, von der aus sie alle Schülerinnen und Schüler im Blick hat. Anders als bei den vorherigen Situationen reicht dies aus, um die komplette Klasse sofort zu mobilisieren. Die Gespräche werden eingestellt und alle suchen ihren Sitzplatz auf, ohne diesbezüglich aufgefordert zu werden. Es scheint sich um eine etablierte Anfangsmarkierung zu handeln, die allen geläufig ist, keine weitere Kommunikation erfordert und die Brücke zwischen „Peerkultur und Unterrichtsordnung“ (Willi-Wagner, 2018, S. 63) schafft. Sie beendet das zwanglose Miteinander, dass bisher stattgefunden hat, ohne, dass dies weiter hinterfragt oder dem widersprochen wird (vgl. Schelle, 2018, S. 93). An dieser Stelle ist die liminale Phase des Übergangs zum Unterricht gut erkennbar, da die Lehrperson erste Schritte für die Herstellung einer Unterrichtsöffentlichkeit einleitet, der eigentliche Unterricht aber noch nicht beginnt (vgl. Wagner-Willi & Göhlich, 2001, S. 122), da sie zunächst fragt, wer noch fehlt. Auch die Anwesenheitskontrolle ist typisch für die Eröffnungsphase und führt hier dazu, dass es wieder lauter wird, da mehrere Kinder durcheinander in die Klasse rufen und drei der Kinder aufstehen, um die Stühle der fehlenden Kinder von den Tischen zu nehmen (vgl. Lüders, 2003, S. 217).

In der folgenden Begrüßung wird klar, dass sie „sich einer zutiefst routinisierten und vor allem von pädagogischen Ambitionen völlig befreiten Form der Unterrichtseröffnung bedient: einer standardisierten Begrüßungshandlung“ (Wolf, 2020, S. 12). Diese scheint im Kontext Schule etwas übertrieben, da mit dem Unterrichtsbeginn das zwanglose Miteinander endet (vgl. Schelle, 2018, S. 93). Auch die Reaktion von Seiten der Schülerinnen und Schüler, gemeinsam im Chor die Begrüßung zu erwidern, folgt einem altbekannten Muster, das in der Klasse ritualisiert zu sein scheint (vgl. Wolf, 2020, S. 12). Interessant ist, dass die Begrüßung der Kinder nicht allein auf die Lehrkraft bezogen ist, sondern sie automatisch auch die Integrationskraft und die Praxissemesterstudentin mit einbeziehen.

Auch im Anschluss der Begrüßung, als sowohl die Integrationshelferin, als auch die Lehrerin sich zunächst um das Schließen von Fenstern und der Tür kümmern, sitzen die Schülerinnen und Schüler leise auf ihren Plätzen und scheinen auf den weiteren Verlauf der Stunde zu warten, wie es auch die bisherigen Wochen zuvor immer der Fall war.

Das Rituale in der Klasse den Morgen strukturieren, wird auch daran deutlich, dass alle Schülerinnen und Schüler unaufgefordert aufstehen, als die Lehrerin zu dem Klassenschrank geht, an dem die Gebete hängen, von denen sie jeden Morgen eines vorträgt. Auch das anschließende Kreuzzeichen wird von allen gemacht und es ist ganz still, während das Gebet vorgelesen wird. Währenddessen nehmen die Kinder verschiedene Haltungen ein. Einige auch eine typisch muslimische Gebetshaltungen, was zeigt, dass die Kinder, trotz der katholischen Bekenntnisschule und den christlichen Gebeten, ihre eigenen Religionen mit einfließen lassen dürfen.

Im Anschluss an das gemeinsame Morgenritual setzen sich alle Schülerinnen und Schüler unaufgefordert hin und es beginnen Gespräche untereinander. Allerdings werden diese, durch das in die Hände klatschen der Lehrperson, direkt wieder eingestellt. Dieses akustische Signal scheint bei allen präsent als eine Aufforderungzu sein, leise zu werden. Es kann in der Klasse als etabliert bezeichnet werden, da sofort wieder Ruhe einkehrt und die Lehrperson mit Nennung des Themas den Unterricht einleitet (vgl. Becker-Mrotzek & Vogt, 2001, S. 141).

Totenstille im Klassenzimmer

Um 8 Uhr befindet sich ein Mädchen mit mir in dem Klassenzimmer, das an derNotbetreuung teilnimmt, und arbeitet leise an ihren Aufgaben, die sie zuvor eigenständig dem wöchentlichen Lernplan entnommen hat. Es kommen zwei weitere Kinder in die Klasse, schauen mich kurz an, reagieren aber beide nicht auf mein „Guten Morgen“. Stattdessen schauen sie in den Klassenraum und gehen an Plätze, die sehr weit voneinander entfernt sind, auch von der schon hinten sitzenden Hanna. Sie nehmen jeweils die beiden Stühle von ihren Tischen und setzen sich leise. Hanna schaut ihnen dabei zu, widmet sich dann aber wieder ihren Aufgaben, ohne dass sie miteinander gesprochen haben. Auch die beiden neuen Kinder holen eigenständig ihre Arbeitsmaterialien heraus, Timo liest in seinen Lernplan und Lisa nimmt zunächst eine Schere aus ihrem Mäppchen und schabt damit an einem Stift. Obwohl dies ziemlich laut ist, beachten die anderen beiden Kinder sie nicht.

Die Lehrkraft steht währenddessen auf dem Flur und unterhält sich mit einer anderen Lehrerin. Timo durchsucht einen Ordner voller Hefte, während Lisa ihr Schreibheft aus ihrer Tasche holt und beginnt zu arbeiten. Auch Timo entscheidet sich für ein Heft und beginnt zu schreiben. Sie arbeiten alle an anderen Materialien, schauen sich nicht an und keines der Kinder sagt etwas.

Timo schaut dabei immer wieder um sich, scheint einige Objekte länger zu fixieren und blickt öfters aus dem Fenster, während die anderen beiden konzentriert auf ihre Materialien schauen und den Blick nicht heben. Da die Tür offen ist, hört man durchgängig, wie sich die Kinder aus dem Nebenraum laut unterhalten und lachen. Während dort eine sehr gesellige Stimmung herrscht und die Kinder Spaß zu haben scheinen, wirken die Kinder hier nicht, als hätten sie Spaß oder als würden sie gerne untereinander kommunizieren.

Hanna schließt ihr Heft und widmet sich einer Box voller kleiner Kärtchen, indem sie immer eine Karte herausnimmt, sie liest und dann auf die Rückseite schaut. Währenddessen beendet die Lehrerin ihr Gespräch und kommt mit zwei Taschen in die Klasse, stellt sie am Pult ab und schaut in die Runde. Dann sagt die Lehrkraft an alle gerichtet, dass sie noch telefonieren muss, gleich wieder da wäre und die Kinder sich bei Fragen an mich wenden können. Die Schülerinnen und der Schüler schauen die Lehrkraft an, sagen allerdings nichts und wenden sich wieder ihren Schulsachen zu. Auch als die Lehrerin den Raum verlässt und die Tür schließt, arbeiten die drei leise in ihren Heften weiter, während man auch durch die Tür noch die Kinder im Nebenraum lachen hört.

Zweite analytische Dimensionierung: Die Perspektive der „Kinder“-Akteure

Die Szene spielt in einem zeitlichen Rahmen von zehn Minuten und beginnt ebenfalls um acht Uhr, wobei es während der Notbetreuung nicht klingelt und den Kindern so nicht durch ein akustisches Signal deutlich gemacht wird, dass der Schultag beginnt.

Hanna, die schon seit einigen Minuten in dem Klassenraum ist, arbeitet seitdem leise an ihren Aufgaben, ohne zuvor dazu aufgefordert worden zu sein. Auch ihr Platznehmen und das Aussuchen von Arbeitsmaterialien erfolgten eigenständig, obwohl es sich erst um den dritten Tag handelt, an dem sie im Rahmen der Notbetreuung zur Schule kommt. Dies zeigt ihre schnelle Anpassungsfähigkeit in der neuen Situation, da es zunächst ungewöhnlich wirkt, wie schnell sie den neuen Ablauf angenommen hat. Die Selbstständigkeit, die die Schülerin zeigt, ist Leitidee eines „offenen Unterrichtes“, wodurch die Situation zunächst den Eindruck macht, als könnte es sich um diesen handeln (vgl. Jank & Meyer, 2011, S. 212).

Zwei weitere Kinder kommen vom Flur aus in die Klasse, ohne mit der dort stehenden Lehrerin zu reden. Dies kann daran liegen, dass sie mit dem Rücken zum Eingang steht und sich mit einer anderen Lehrkraft unterhält. Das Timo und Lisa zielstrebig in die Klasse kommen deutet darauf hin, dass sie bereits bei der Notbetreuung waren und wissen, in welchen Raum sie morgens gehen müssen. Interessant ist, dass keines der Kinder den Morgengruß erwidert, obwohl dieser ihnen aus ihrem Regelunterricht bekannt ist. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass sie die grüßende Person nicht kennen, das Umfeld ein nicht vertrautes ist und sie sich an den jeweils anderen Kindern orientieren, die ebenfalls nicht grüßen. Diese Vermutung wird noch darin bestärkt, dass die Begrüßung am folgenden Tag in der gleichen Konstellation erwidert wird, nachdem die Kinder einen Tag lang gemeinsam mit der Ethnographin verbracht haben. Auch dass beide sich automatisch weit voneinander entfernt einen Platz suchen zeigt, wie schon zuvor bei Hanna, die schnelle Anpassungsfähigkeit an die neue Situation.

Da die beiden Mädchen leise arbeiten, tritt Timo in den Fokus der Beobachtung, was allerdings nicht an auffälligem Verhalten liegt, sondern daran, dass er als einziger nicht durchgängig in sein Heft schaut und darin arbeitet. Die ethnographische Aufgabe war dahingehend eine Herausforderung, dass „nonverbale Kommunikationen aufgrund ihrer sozialen Sprachlosigkeit nicht zweifelsfrei eindeutig und präzise adressierbar sind und somit immer ein Stück weit ‚situativ-diffus‘ und interpretatorisch offen bleiben“ (Meier, 2004, S. 112). So ist beispielsweise nicht klar, ob er keine Lust hatte zu arbeiten, Schwierigkeiten mit seinen Aufgaben hatte, oder er eventuell generell Probleme dabei hat, fokussiert über einen gewissen Zeitraum zu arbeiten.

Keines der Kinder wirkt während der Beobachtung aufmerksamkeitsheischend und sie sind sehr ruhig, sodass ein starker Kontrast zu der Lerngruppe im Klassenzimmer einen Raum weiter entsteht. Diese unterhalten sich über den gesamten Beobachtungszeitraum laut und lachen, was keine Neugierde bei den drei Kindern zu wecken scheint, da diese keinerlei Reaktion darauf zeigen.

Zunächst könnte erwartet werden, dass die Lehrerin, wie auch zu Unterrichtsbeginn in ihrer Klasse, nach dem Gang zum Pult und dem Abstellen ihrer Taschen die Lerngruppe begrüßt, da sie dies bisher nicht getan hat. Stattdessen sagt sie, an alle gerichtet, dass sie noch telefonieren muss. Es wird deutlich, dass sie weder versucht die Aufmerksamkeit der Lerngruppe zu etablieren, noch ein gemeinsames Stundenthema zu finden und in dieses einzuführen. An diesen Aspekten kann man deutlich sehen, dass es sich nicht um einen normalen Schulunterricht handelt (vgl. Tyagunova & Breidenstein, 2016, S.77 f.). Neben den vorab genannten Merkmalen von Unterrichtsaufgaben einer Lehrkraft, ist hier auch kein für Unterricht typisches Interaktionsfeld erkennbar, da die Lehrerin die Klasse für eine unbestimmte Zeit verlässt. Auch ihr Verweisen auf mich, eine den Kindern unbekannte und nicht vertraute Person, wird ohne Kommentar angenommen. Sie könnten sich mit nichtunterrichtlichen Aktivitäten beschäftigen, ohne dass dies zunächst auffallen würde, da ich die Lern- und Aufgabenpläne der einzelnen Schülerinnen und Schüler nicht kenne und es beispielsweise auch Aufgabe sein könnte, etwas zu malen. Die stille Arbeitsphase, die anschließend erfolgt und noch weit über die Beobachtung hinaus geht, steht erneut in Kontrast zu der Lautstärke im Klassenzimmer nebenan, aus dem, trotz geschlossener Tür, weiter Gespräche und Lachen zu hören sind.

Fazit

In den analytischen Dimensionierungen sollte dargelegt werden, wie sich die Anfänge im Regelunterricht von denen in der Notbetreuung unterscheiden und wieso nicht in beiden Fällen von Unterrichtsbeginn gesprochen werden kann. Von Unterrichtsbeginn ist hierbei die Rede, wenn die Schritte Platzzuweisung, die Herstellung einer Unterrichtsöffentlichkeit und die Nennung des Stundenthemas durch die Lehrkraft erkennbar sind (vgl. Becker-Mrotzek & Vogt, 2001, S. 141). Während alle drei Phasen in der ersten Beobachtung gut erkennbar sind und nacheinander durchlaufen werden, beinhaltet die zweite Beobachtung keine davon. Obwohl das Verhalten der Schülerinnen und Schüler bei der analytischen Dimensionierung im Fokus lag, wurde durch dieses Beispiel deutlich, dass die Lehrkraft eine zentrale Rolle darstellt, da es ohne ihre Präsenz zu keiner Unterrichtssituation kommt.

Der erste Unterschied besteht also darin, dass es sich nur bei einer der Beobachtungen um einen wirklichen Unterrichtsbeginn handelt, während die zweite Beobachtung einen Anfang zum selbstständigen Arbeiten an den Arbeits- und Lernplänen darstellt. Da Wochenpläne ein typisches Merkmal von „offenem“ Unterricht sind, könnte zunächst eine Verbindung hergestellt und dadurch angenommen werden, dass es sich um diesenhandelt (vgl. Rabenstein & Reh, 2007, S. 25). Allerdings geht es bei dem Konzept des „offenen“ Unterrichts immer noch um einen von der Lehrkraft geleiteten und strukturierten, zeitlich begrenzten Rahmen, der hier nicht erkennbar ist, da die Lehrerin weder die Lerngruppe mobilisiert, Aufgaben verteilt oder diese kontrolliert oder bei ihrer Bearbeitung hilft. Somit lässt sich die Beobachtung erneut nicht genau zuordnen und wird als ein Stundenbeginn definiert, da sie wie die erste Beobachtung mit Beginn der normalen Schulzeit um acht Uhr beginnt und sich auch im weiteren Verlauf der Notbetreuung an den normalen Schul- und Pausenzeiten orientiert.

Ein weiterer, deutlich erkennbarer Unterschied besteht in dem Verhalten und der Interaktion, sowohl zwischen den Schülerinnen und Schülern untereinander, als auch mit der Lehrkraft. Während in der ersten Beobachtung typische Verhaltensweisen, wie die Interaktion zwischen Schülerin und Lehrerin, dem gemeinsamen Begrüßen, einem Ritual und dem Zusammenkommen in Peergroups, zu erkennen sind, fehlen diese in der zweiten erneut. Die fehlenden Gespräche könnten darauf zurückzuführen sein, dass die Kinder weder zueinander, noch zu der Lehrperson, ein vertrautes Verhältnis haben und keiner gemeinsamen Peergroup angehören. Dies ist wahrscheinlich, da sie alle aus unterschiedlichen Klassen sind und keiner bei der Lehrkraftbisher Unterricht hatte. Trotzdem kann aus der Beobachtung keine Verallgemeinerung entnommen werden, da es sich bei der Lerngruppe im Nebenraum ebenfalls um eine zufällig zusammengestellte Lerngruppe aus unterschiedlichen Klassenstufen handelte, diese aber laute Gespräche führten und sich untereinander gut zu verstehen schienen. Der Beobachtung kann man zusätzlich entnehmen, dass ich als Ethnographin eher überrascht über das Schülerverhalten war, da ich mit mehr Interaktion gerechnet hatte, was man der Beschreibung entnehmen kann, was die Schülerinnen und Schüler nicht tun, obwohl der Fokus darauf lag, zu beobachten was sie tun.

Ebenfalls große Unterschiede waren im Verhalten der Lehrkraft zu sehen, obwohl es sich um die gleiche Person handelte. Während sie in der ersten Beobachtung gezielt darauf hinarbeitet, die Unterrichtsstunde zu beginnen, scheint sie während der Notbetreuung eine andere Rolle einzunehmen. Dies wird gerade durch die fehlende Begrüßung deutlich und daran, dass sie die Stunde nicht leitet, sondern sich der Verantwortung der Betreuung entzieht, indem sie die Klasse über einen langen Zeitraum verlässt, um zu telefonieren.

Es wird sehr deutlich, dass große Unterschiede bei den Beobachtungen zu sehen sind und der Beginn im Regelunterricht ein anderer ist, als der in der Notbetreuung. Allerdings wird letzteres nicht immer in dem hier aufgezeigten Maße der Fall sein, was man in direktem Vergleich mit der Lerngruppe im Nebenraum sehen kann. Dies zeigt die großen Unterschiede je nach Lerngruppe und wie individuell das Verhalten der Schülerinnen und Schüler sein kann. Außerdem gibt es viele Einflussfaktoren, die dieses Verhalten begünstigen.

Daher wäre es interessant gewesen, weitere Lerngruppen zu beobachten um so mehrere Anfänge in der Notbetreuung miteinander zu vergleichen. Auch der Vergleich der ersten Beobachtung mit der gleichen Lerngruppe und der gleichen Lehrkraft während der Notbetreuung hätte noch deutlicher aufzeigen können, inwiefern sich das Verhalten der Kinder und der Lehrkraft, je nach Situation, ändert.

Durch eine andere Methode, die Videographie, hätten hierbei eventuell noch mehr Ergebnisse gesammelt werden können. Videos ermöglichen, im Gegensatz zu der teilnehmenden Beobachtung, eine wiederholte Betrachtung des Geschehenen, wodurch die Aufmerksamkeit der Forscherinnen und Forscher „auf mehrere simultan ablaufende Interaktionsprozesse möglich wird“ (Wagner-Willi, 2007, S. 141).

Insgesamt zeigt das Studienprojekt, dass Anfänge in der Grundschule sehr unterschiedlich gestaltet werden können, viele Einflussfaktoren diese Unterschiede bedingen und es viele weitere Ansatzpunkte gibt, um in diesem Bereich weiter zu forschen.

Literaturverzeichnis

  • Amann, K. & Hirschauer, S. (1997). Die Befremdung der eigenen Kultur. Ein Programm. In K. Amann & S. Hirschauer (Hrsg.), Die Befremdung der eigenen Kultur. Zur ethnographischen Herausforderung soziologischer Empirie (S. 7-52). Frankfurt: Suhrkamp.
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