Raffaels Meldeverhalten wirkt weniger unsicher. Nachdem sich Nils einige Male als Einziger gemeldet hat, fängt auch Raffael an, sich regelmäßiger zu melden. Sein Arm ist bei der ersten Meldung nicht aufgestützt, sondern erhoben, wenn auch nicht durchgestreckt. Bei seiner nächsten Meldung wird beschrieben, wie er den Arm auf dem Tisch abstützt. Das Verhalten von Raffael zeigt, dass Breidensteins Ausführungen (2006, S.99) nicht vollständig sind, sondern es Verhaltensintensitäten zwischen den aufgeführten geben kann. So ist Raffaels Verhalten weder ein durch einen geschwenkten Arm und schnipsenden Finger signalisiertes dringendes Bedürfnis, noch lässt es sich als lässige, reduzierte Geste durch einen aufgestützten Arm werten.
Garys Meldeverhalten unterscheidet sich von den beiden zuvor beschriebenen. Vor seiner ersten Meldung liegen seine beiden Arme auf dem Tisch ab. Dann hebt er ihn vorsichtig – ggf. unsicher – an und streckt seinen Finger langsam vor seinem Gesicht aus. Auffallend ist, dass er die Meldung kurzzeitig zurückzieht, als Mira in seine Richtung schaut. Dies könnte, gemessen an seiner Körpersprache, daran liegen, dass er sich seiner Antwort unsicher ist und lieber nicht drankommen möchte, um keine falsche Antwort zu nennen. Doch dann meldet er sich wieder, vielleicht, weil er, als Mira ihn nicht mehr anschaut, kein Risiko mehr wahrnimmt, an die Reihe zu kommen. Bei der nächsten Frage meldet sich Gary ähnlich. Seine Arme sind an seinen Körper gedrückt, was unsicher wirkt. Seinen Finger bewegt er nach oben und nach unten. Dies scheint, als würde er abwechselnd drankommen wollen, sich dann jedoch unsicher darüber werden. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass sein Meldeverhalten, sollte er tatsächlich unsicher über die Antwort sein, nicht dafür sorgt, weniger aufzufallen. Obwohl Nils bei dieser Meldung hochschnellt und auch Raffael sich meldet, wird Gary von Mira drangenommen. Dies könnte in dem Zusammenhang mit der Art des Meldens sein. Wie bereits mehrfach aus der Literatur zitiert (vgl. Breidenstein 2006; Budde 2011) wird Bewegung bei der Meldung auch als Strategie verwendet, um der Lehrkraft, oder in diesem Falle Mira, aufzufallen und dranzukommen. In diesem Falle scheint Gary durch die Körpersprache zwar unsicher, seine Bewegung führt jedoch dazu, dass seine Meldung wahrgenommen wird. Strategien zum dringenden Erlangen wollen des Rederechts ist besonders in der Unterrichtssituation am Ende der Beschreibung zu erkennen. Kim wurde, obwohl sie sich nach ihrer Aussage nicht gemeldet hat, drangenommen und soll nun eine Antwort geben. Als ihre erste Antwort falsch ist, korrigiert sie sich drei Mal. In dieser Zeit zeigt sich unterschiedliches Meldeverhalten von den Kindern, welche die richtige Antwort geben möchten. Nils lehnt sich über seinen Tisch nach vorne, steht auf und stellt sich von einem Fuß auf den anderen. So macht er sich durch das Näherlehnen und die Bewegung körperlich bemerkbar (vgl. Budde 2011, S.136). Tanja, die bereits seit einiger Zeit hinter ihrem Stuhl steht und sich von dort aus meldet, beginnt dort auf und ab zu springen. Auch durch ihr Verhalten fällt sie durch die Bewegung auf. Bei Kiran zeigt sich dasselbe Verhalten, denn auch er ist aufgestanden und hüpft immer energischer. Alle dieser Kinder wackeln außerdem mit ihrem Finger hin und her, was Breidenstein (2006, S.99) als ein dringendes Bedürfnis deutet. Neben dieser Strategie, durch Bewegung auffallen zu wollen, rufen einige Kinder ein „Nein!“ in die Klasse, wenn Kims Korrektur falsch war oder sagen, dass sie die Antwort kennen. So ist auch eine verbale Strategie zu erkennen, die Lehrerin davon überzeugen zu wollen, sie dranzunehmen. In Bezug auf Kim zeigt sich ein Problem, dass Sacher (1995, S.2) kritisiert. Dies ist der Druck, unter dem die Schüler*innen stehen, eine korrekte Antwort zu geben. Sie haben dafür nur eine kurze Bedenkzeit, noch während die Lehrkraft die Frage stellt und meist keine Zeit, nach der Frage noch darüber nachzudenken. Hinzu kommt, wie zu beobachten ist, dass auch die Mitschüler*innen Kim unter Druck setzen, indem sie deutlich signalisieren, dass sie die Antwort, im Gegensatz zu Kim, kennen. Es zeigt, dass das Meldeverhalten der anderen Mitschüler*innen einen Einfluss auf das Antwortgebende Kind haben kann.