Einleitung
„Sich mit dem schulischen Alltag aus der Perspektive von Kindern zu beschäftigen, bedeutet, den sozialen Prozessen in der Schulklasse eine größere Bedeutung bei zu messen“ (Heinzel, 2012, S.179). In dieser Arbeit soll anhand einer ethnographischen Analyse eines Unterrichtsbeginns einer ersten Stunde während des Wechselunterrichts in der Coronapandemie die Perspektive des Kindes als Akteur*in der Situation und dessen Interaktion innerhalb seiner Peergroup sowie mit der Lehrkraft genauer betrachtet werden. Es handelt sich um eine alltägliche Übergangssituation, die aktuell stark durch geltende Coronaschutzmaßnahmen geprägt ist. Obwohl es in der Forschung umstritten ist, ob es einem als Erwachsenen gelingt die Perspektive der Kinder überhaupt angemessen zu rekonstruieren (vgl. ebd. S.180, angelehnt an Honig, 1999; Hülst 2000), soll es in dieser Arbeit versucht werden.
Heinzel stellt heraus, dass die Aufmerksamkeit der Kinder im „Spannungsverhältnis zwischen der kommunikativ-generalisierten Unterrichtsordnung und der durch viele verschiedenen Dimensionen anders gekennzeichneten Peerkultur“ steht (Heinzel, 2012, S.178). Wagner-Willi bedient sich zur Beschreibung der Perspektiven einer Theatermetaphorik, der Vorder- und Hinterbühne (vgl. Wagner-Willi, 2018, S.58ff.). Das Klassenzimmer kann hiernach als Vorderbühne dienen, wenn die Lehrkraft im Raum ist und die Unterrichtsordnung im Vordergrund steht, gleichzeitig kann im Klassenzimmer eine Hinterbühne entstehen, wenn die Lehrkraft abwesend ist oder peerkulturelle Rituale entstehen (vgl. ebd.).
Dem Beginn des Unterrichts geht meist ein rituelles Signal als Auslöser für einen „Szenenwechsel“ voraus (Wagner-Willi, 2001, S.60), denn Unterricht beginnt nicht direkt nach Eintreten der formalen Kriterien, dem Beginn der Unterrichtszeit oder dem Eintritt in den Klassenraum, sondern muss zudem durch soziale Interaktionen handlungspraktisch hergestellt werden (vgl. Wolf, 2020, S.9; Wagner-Willi, 2018, S.59). Diese Übergangsphase vom Ankommen in der Schule hin zur Herstellung der Unterrichtsbereitschaft nennt Wagner- Willi nach Victor Turner „Schwellenphase“ (vgl. Göhlich/Wagner-Willi, 2001, S.120). In dieser Schwellenphase treffen die peerkulturell geprägten Handlungen und Normen der Schüler*innen auf der Hinterbühne auf die schulischen Unterrichtsanforderungen der Vorderbühne, und es entsteht ein „Durcheinander“, in dem weder die Regeln der Peergroup noch die des Unterrichts vollständig gelten (vgl. Wagner-Willi, 2018, S.59). In der Schwellenphase lassen sich Praktiken erkennen, die der Herstellung der Unterrichtsbereitschaft dienen. Von Seiten der Schüler*innen ist dies beispielsweise das Einnehmen des eigenen Sitzplatzes (vgl. Rabenstein/Rehe, 2010, S.71). Eine Praktik der Lehrkräfte ist es, sich vor die Tafel zu stellen und den Blick auf die Schüler*innen zu richten (vgl. Wagner-Willi, 2018, S.60; Göhlich/Wagner-Willi, 2001, S.144ff.). Häufig dienen Rituale oder ritualisierte Handlungen als Unterstützung um die unterrichtliche Ordnung herzustellen. Hierrunter versteht man wiederkehrende, interaktive Handlungsmuster, die die unterrichtliche Ordnung hervorbringen und festigen (vgl. Göhlich/Wagner-Willi, 2010, S.120).